Hannah Arendt Preis für politisches Denken
HINWEIS: Dies ist nicht die offizielle Seite des Vereins: „Hannah Arendt Preis für politisches Denken e.V.“ - diese Seite finden Sie dort.
Hier findet der Leser eine aus historischen wie inhaltlichen Gründen kritische Würdigung der Machenschaften dieses Vereins. Wer sich für die Hintergründe interessiert, findet eine sehr gedrängte Zusammenfassung hier.
Wer verstehen will, dem kann ich zwei Texte von Zoltán Szankay empfehlen: seine Antwort auf die unterbrochene Revolution von 1989: Neue Sichtbarkeiten und Fragen im Lichte der Ereignisse und einen Text, mit dem der Preis öffentlich vorgestellt wird: Arendtsche Denkungsart und Öffnungsweisen der ‘Demokratischen Frage’
An beiden Texten ist die ursprünglich *politische* Intention des Preises noch gut ablesbar, etwa ab dem Preisträger Tony Judt beginnt der inhaltliche Verfall.
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Zur Preisvergabe 2016 an den Historiker Christian Teichmann
Das Problem jedoch ist, daß wir für diese Tätigkeit des Denkens,
des Wohnens in der Lücke zwischen Vergangenheit und Zukunft
weder ausgestattet, noch auf sie vorbereitet zu sein scheinen.
Hannah Arendt
nach den Angaben der internationalen Jury hat Christian Teichmann mit seinem Buch „Macht der Unordnung“ einen Neuansatz in der Forschung über totalitäre Systeme vorgelegt. Zweifellos hat Herr Teichmann innerhalb eines akademischen settings ein interessantes und lesenswertes Buch geschrieben. Nur: was hat das mit der gegenwärtigen Lage in Deutschland, in Europa, mit unserer Lage zu tun? Trägt es zum Verstehen dessen bei, was gerade hier und jetzt auf dem Spiel steht? Ist der Jury der Unterschied zwischen einem akademischen und einem politischen Preis nicht mehr geläufig?
Auch das Wagnis Öffentlichkeit, das zu den Kernelementen des Preises gehören soll, lässt sich kaum erkennen. Bücher über den Terror Stalins sind schon einige geschrieben worden. Und was das Wagnis anbelangt, wäre da nicht der Berliner Historikerkollege Jörg Baberowski preiswürdiger gewesen? War nicht Mut die politische Tugend, gerade in einer Zeit, in der ein völlig enthemmter Gesinnungspöbel die alleinige Deutungshoheit beansprucht?
Voice oder Exit - man zieht sich zurück. In den Salons des intellektuellen Gesindels, wie Arendt diesen Typus erfrischend despektierlich nannte, lassen sich erregte Debatten führen: Hast du schon gehört? Stalin soll damals die Ordnung mit Wasser zerstört haben. Die Narren glauben gar, der Salon sei der öffentliche Raum, von dem Arendt erzählt hat.
War es nicht schon häufiger ein spezifisches Merkmal dieses Typs? Wenn es ernst wird, fliehen sie die abgründige Nähe, um einen Punkt in der Ferne zu fixieren, der ihnen wenigstens die Illusion eines Standpunkts erlaubt.
Ein ‚Hannah Arendt Preis für politisches Denken‘, dem das entscheidende Moment der Gegenwärtigkeit abhanden gekommen ist, ist ein sinnloser Preis, er hat nichts mit Hannah Arendt, nichts mit Politik, ja nicht einmal etwas mit Denken zu tun.
Bremen, September 2016
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Es war einmal eine schöne Idee - aus ihr hätte etwas werden können. Sie entstand nach 1989, als für einen kurzen Moment bei einigen wenigen Aufgewachten eine Lücke aufklaffte, aus der die Gelegenheit hervorkam, nachzuholen, was nach 1945 durch den Rückfall in die liberale Normalität verpasst worden war und auch jetzt wieder zu verschwinden drohte. Plötzlich waren Wörter dem Gefängnis ihres eindeutigen Sinns entkommen und liefen frei herum. Über ihre Bedeutung konnte, ja musste gesprochen werden. Was sich ereignete, war so aufregend, dass es nicht sofort wieder in der Gleichgültigkeit des immer schon Gewußten verschwand - es blieb aufregend. Die außerordentliche Spannung zwischen der Sprache der Ereignisse und den vorherrschenden Diskursen kann man einem 1990 entstandenen Schlüsseltext dieser Phase („Neue Sichtbarkeiten und Fragen im Lichte der Ereignisse“) noch heute anmerken. Wer diesen Text von Zoltán Szankay heute wieder aufmerksam liest, dem wird auffallen, von welch beunruhigender Aktualität er in einer Gegenwart ist, in der noch weit verheerender als damals antinationale und -faschistische Hysterien politische Wahrnehmungen weitestgehend blockieren. Am lautesten schreien gerade diejenigen, die nur noch in der Beschwörung gespenstischer Feinde einen eigenen Stand sich herbei geifern können, zu aktuellen Geschehnissen aber schon längst nichts mehr zu sagen haben.
Zoltán Szankay ist der Initiator und eigentliche Kopf des Hannah Arendt Preis für politisches Denken e.V. Was auch immer andere behaupten mögen, in der Zeit, in der die Idee im Kreise seiner Studenten und Hans Scheulen, der häufig neben Zoltán Szankay die Veranstaltungen mitmoderierte, allmählich Gestalt annahm, war Zoltán Szankay mein Lehrer und ich sein Schüler. Ich bin also, was das anbelangt, ein Augen- und Ohrenzeuge. Gegenüber der organisierten Lüge genügt, wie wir von Hannah Arendt wissen, ein einziger Zeuge.
Nun muss ein solcher Preis neben seiner politischen Bedeutsamkeit auch materiell ausgestattet werden, jemand muss das Preisgeld stiften. Das wurde sein Verhängnis, denn das Preisgeld kam zur einen Hälfte von der Stadt Bremen und zur anderen von der Parteistiftung der Grünen. Was kennzeichnet die Lage der Geldbeschaffer? Nach 70 Jahren ununterbrochener Genossenherrschaft ist die SPD Bremens da angekommen wo alle Inzucht Ordnungen am Ende landen - ganz unten. Ein spezieller Sumpf, in dem auch jene grünen Pflänzchen gedeihen, die Gesinnung mit Größe verwechseln und im stürmischen Wind der Wirklichkeit längst vertrocknet wären. Eine bodenlose Niveaulosigkeit mit Folgen: der einzig nennenswerte Kopf des Preises wurde rausgeschmissen, sein Name geschichtsfälschend getilgt und was blieb über? Schauen wir uns doch einfach den gegenwärtigen Vereinsvorstand genauer an:
Prof. Antonia Grunenberg, die Vorsitzende, war in der Entstehungszeit des Preises schon nicht mehr ganz jung und arbeitslos. Ihre Aussichten auf eine dauerhafte universitäre Anstellung standen zweifelhaft. Da kam der gute Name Hannah Arendts gerade recht, um doch noch bella figura spielen zu können.
Peter Rüdel ist der lokale Statthalter der grünen Gesinnungskirche in Bremen - er organisiert Veranstaltungen. Das macht er ganz vortrefflich. Nur: durch bemerkenswerte Texte und/oder Gedanken zu Hannah Arendt, die auf ein vertieftes Verständnis der abendländischen Geschichte hindeuten, ist er bislang nicht in Erscheinung getreten.
Prof. Eva Senghaas-Knobloch hatte an der Universität Bremen einen Lehrstuhl für Arbeitswissenschaften inne, Forschungsfeld Arbeit und Gesundheit. Ich maße mir nicht an, ihre Arbeiten zu beurteilen. In diesem Bereich kenne ich mich nicht aus. Was jedoch auffällt: Hannah Arendts Texte entstehen unter dem Eindruck dessen, was sich tatsächlich ereignet, als fortdauernde Auseinandersetzung mit denen, die man zu den politischen Philosophen zählt, ein Begriff, der zwar für Hannah Arendt zunehmend fragwürdiger wird (eine contradictio in adiecto, wie es im Denktagebuch heißt) aber als Orientierung im Übergang noch herhalten muss. Wer die Publikationsliste von Prof. Senghaas-Knobloch studiert, wird vieles zu Arbeit und Soziales, aber keinen Text finden, der sich explizit auch nur mit einem der ‚politischen Philosophen‘ beschäftigt. Wer auch nur eine grobe Vorstellung vom Niveau der Auseinandersetzung um den europäischen Liberalismus hat, die sich z.B. im ‚Dialog unter Abwesenden‘ zwischen Carl Schmitt und Leo Strauss abspielt und von Heinrich Meier hervorragend herausgearbeitet wurde, wird sich fragen: was macht eine derartige Dilettantin in einem Hannah Arendt Verein?
Über den Vierten im Bunde, Ole Sören Schulz, läßt sich noch nichts sagen - ich habe noch keinen Text von ihm in die Hand bekommen, den ich hätte lesen und über den ich mir eine Meinung hätte bilden können.
Das im Dezember 2015 aus Anlass von 20 Jahren Hannah Arendt Preis in Bremen abgehaltene ‚Symposium‘ machte den Verfall nur allzu deutlich: Dass ehemalige Spitzengrüne wie Cohn-Bendit (weitere Namen ließen sich fast beliebig anfügen) im Verein mit einer völlig überforderten Kanzlerin, die sich vor dem Abgrund des Politischen nur noch in Glaubensgewißheiten retten kann, allen Ernstes glauben, mit einer Wiederholung jakobinischer Tugenddiktatur Europa retten zu können, zeigt das ganze Ausmaß dieser geschichtsblinden politischen Dummheit. Ein protestantisches Deutschland mit einer geistig-religiösen Führerin ist keine Republik. Während sich zahlreiche im Inland in eine selbststrafende Erlöserbewegung hinein imaginieren, wird das Verhängnis vor allem in den Außenverhältnissen sichtbar, in denen jegliche politische Aushandlungsdimension zerstört, die Differenz zwischen dem Demokratischen und dem Totalitären vernichtet und die anderen mit hochmoralisch-aggressiven Vorschriften zwanghaft gezüchtigt werden sollen. Was im Inland in die Nähe eines spiegelbildlichen „Heil Merkel“ gerät, ruft im Ausland entsetztes Kopfschütteln hervor.
Wer mit Schaum vorm Maul von den „Feinden der Demokratie“ spricht, sollte wissen, welche Tradition er da fortsetzt. Wenn derjenige selbst es schon nicht mehr weiß, sollten es wenigstens die anderen bemerken. Haben wir immer noch nicht genügend Erfahrung mit Volksgerichten und Tribunalen aller Art? Und: man sollte rechtzeitig darüber nachdenken, welche geschichtlichen Kräfte in der Auseinandersetzung mit katholischen Ländern da wieder aufeinander zulaufen.
17. Oktober 2014 um 09:00 Uhr
Erhält Pussy Riot den Hannah-Arendt-Preis?
17. Oktober 2014 um 09:23 Uhr
Bezogen auf das, was sich zwischen Preisverleihern und öffentlicher Wahrnehmung ereignet - Ja.