Die Reak­tio­nen der alt­eu­ro­päi­schen Eli­ten auf die Rede des ame­ri­ka­ni­schen Vize­prä­si­den­ten Van­ce auf der Münch­ner Sicher­heits­kon­fe­renz und der Tri­umph­zug, den sie dem ukrai­ni­schen Prä­si­den­ten Selen­ski nach dem Eklat, den die­ser im Oval Office pro­vo­zier­te, ermög­lich­ten, haben der US-Admi­nis­tra­ti­on klar­ge­macht: die domi­nie­ren­de Klas­se in den meis­ten Län­dern der Euro­päi­schen Uni­on ist sinn­vol­len Argu­men­ten nicht mehr zugäng­lich. Ame­ri­kas Ver­such, ihnen im 20. Jahr­hun­dert ein paar basics in poli­tics nahe­zu­brin­gen, sind trotz umfang­rei­cher mili­tä­ri­scher und wirt­schaft­li­cher Begleit­be­mü­hun­gen geschei­tert. Die kor­rup­ten euro­päi­schen Eli­ten muss­ten der­weil zur Kennt­nis neh­men, dass die Trump-Admi­nis­tra­ti­on weder die ver­schärf­ten Zen­sur­be­mü­hun­gen noch den Not­be­helf einer Wahl­an­nu­lie­rung gou­tie­ren wird. Per­so­nal­ent­schei­dun­gen wie Kash Patel (sie­he sein Buch „Govern­ment Gangs­ters“) dürf­ten auch dem Letz­ten klar gemacht haben, dass der Anti-Kor­rup­ti­ons­zug vor den Toren Euro­pas nicht halt­ma­chen wird. Das Tisch­tuch der gemein­sa­men Räu­ber­ban­de war zerschnitten.

Es schien den neo­feu­da­len Eli­ten daher gebo­ten, gegen­über der ame­ri­ka­ni­schen poli­ti­schen Erneue­rung, erst recht gegen­über dem Brand­herd einer gefähr­li­chen Pan­de­mie-Auf­klä­rung einen neu­en Schutz­wall zu errich­ten. Dazu muss die ehe­ma­li­ge Befrei­ungs- und Schutz­macht zur neu­en Inkar­na­ti­on des Bösen mit infek­tiö­ser Anste­ckungs­ge­fahr umde­kla­riert wer­den. Das an sei­nem poli­ti­schen Unver­mö­gen zer­fal­le­ne Euro­pa schickt sich an, gleich­zei­tig die rus­si­sche Des­po­tie im Osten und den ame­ri­ka­ni­schen Faschis­mus im Wes­ten erfolg­reich besie­gen zu wol­len. Gewis­se Par­al­le­len zur irra­tio­na­len Kriegs­be­geis­te­rung zu Beginn des Ers­ten Welt­krie­ges drän­gen sich auf. Ein­krei­sungs­pho­bien in Zei­ten brö­ckeln­der Herr­schafts­le­gi­ti­mie­rung sind sowohl aus der Geschich­te Frank­reichs, wie der Deutsch­lands bekannt. In bei­den Fäl­len führ­te die Flucht nach vor­ne zum Ende der bestehen­den Ord­nung. Ame­ri­ka hin­ge­gen wird sich sei­ne Freun­de unter denen suchen, die die Frei­heit zu schät­zen wis­sen. Aus ihrer Sicht gibt es jetzt Wich­ti­ge­res als die Ewig­gest­ri­gen aus Old Euro­pe. Man soll­te daher die auf­ge­reg­te „Ver­rat am frei­en Wes­ten“ Rhe­to­rik als das neh­men, was sie ist: blan­ke Ver­zweif­lung einer Cli­que, die vor einem rie­si­gen Trüm­mer­hau­fen und, wür­de der all­ge­mein bekannt wer­den, einem Nürn­berg 2.0 steht.

Die Recht­gläu­bi­gen und der Abfall

Kri­sen füh­ren im christ­li­chen Abend­land in schö­ner Regel­mä­ßig­keit zu einem Rück­fall in Ver­hal­tens­wei­sen, deren Spu­ren sich bis auf die Durch­set­zung der Recht­gläu­big­keit in der Spät­an­ti­ke zurück ver­fol­gen las­sen. Der schier uner­schöpf­li­che Fun­dus christ­li­cher Tra­di­tio­nen bei gleich­zei­ti­gem fast voll­stän­di­gem Feh­len poli­ti­scher Para­dig­men begüns­tigt die Ver­la­ge­rung von poli­ti­schen Her­aus­for­de­run­gen in reli­giö­se Kon­flik­te, was die Kri­sen nicht ent­schärft, son­dern eigens noch auf gewalt­sa­me Ent­la­dun­gen hin zuspitzt. Das in der Spät­an­ti­ke ent­stan­de­ne Kon­zept der „Recht­gläu­big­keit“, das zunächst nur die Absicht ver­folg­te, die eine geof­fen­bar­te Wahr­heit gegen alle ande­ren Mei­nun­gen abzu­son­dern, die dadurch als Abfall vom wah­ren Glau­ben defi­niert wer­den konn­ten, erhielt etwa ab der Jahr­tau­send­wen­de eine zusätz­li­che poli­ti­sche Auf­la­dung. Der ein­zi­ge Sinn der christ­li­chen Offen­ba­rungs­wahr­heit konn­te von oben dik­tiert, alles ande­re als Abwei­chung defi­niert wer­den. Zwi­schen der Offen­ba­rungs­wahr­heit, die vor­ge­schrie­ben und der Tat­sa­chen­wahr­heit, über deren Bedeu­tung stets gestrit­ten wer­den muss, wur­de eine Tren­nungs­li­nie gezo­gen, die, aller Auf­klä­rung zum Trotz, bis heu­te in der Alten Welt Bestand hat. Der ursprüng­lich neu­tra­le Begriff Häre­sie, der nur die Aus­wahl unter ver­schie­de­nen Mög­lich­kei­ten bezeich­ne­te, wur­de genutzt, um aus den vom wah­ren Glau­ben Abge­fal­le­nen den Häre­ti­ker als Feind­bild zu extra­hie­ren und damit jeg­li­che uner­wünsch­te inner­kirch­li­che Reform­be­stre­bung schon im Ansatz unter­bin­den zu kön­nen. Der Stoff­wech­sel einer Ord­nung aus Recht­gläu­bi­gen benö­tigt kei­ne Alter­na­ti­ven, zwi­schen denen man wäh­len und ent­schei­den könn­te. Das Unver­dau­li­che kann als Abfall aus­ge­schie­den und ent­sorgt wer­den. Egal, wie gut begrün­det, Reform­be­we­gun­gen wur­den als heuch­le­ri­sche Ver­schwö­rung des Anti­chris­ten, wo nötig mit­hil­fe einer pein­li­chen Befra­gung, ent­larvt und, sofern sie nicht frei­wil­lig in den Schoss der Kir­che zurück kehr­ten, mit End­zeit­klän­gen bekämpft bis hin zu gewalt­sam ver­nich­tet. Das, was wir heu­te als zivi­le Streit­kul­tur bezeich­nen, konn­te ihn die­sem Rah­men weder ent­ste­hen, noch sich als Gewohn­heit verwurzeln. 

Natür­lich nutz­ten auch die welt­li­chen Herrn als­bald die pro­ba­ten Metho­den von Herr­schafts­si­che­rung und Ver­mö­gens­ver­meh­rung. Als Phil­ipp IV, König von Frank­reich, unter Geld­sor­gen litt, wur­de der Temp­ler­or­den wegen Ket­ze­rei, Göt­zen­an­be­tung, Sodo­mie und ande­rer teuf­li­scher Prak­ti­ken ver­ur­teilt, ein Groß­teil der Ordens­rit­ter inklu­si­ve des Groß­meis­ters ver­brannt, was im ent­ste­hen­den Abso­lu­tis­mus nicht nur einen Macht­kon­kur­ren­ten aus­schal­te­te, son­dern zusätz­lich Geld in die Kas­sen des Königs spül­te. Seit­her ist es ein ver­trau­tes Mus­ter: Reform­an­sprü­che - einer­lei ob reli­giö­ser oder poli­ti­scher Natur - wer­den durch ihre erst reli­giö­se, heu­te mora­li­sche Ver­ket­ze­rung poli­tisch dele­gi­ti­miert, um den eige­nen Sta­tus Quo zu ret­ten. Es gehört zum Stan­dard­re­per­toire euro­päi­scher Macht­be­haup­tung, sich vor allem in den Innen­ver­hält­nis­sen unlieb­sa­mer Kon­kur­renz durch mora­li­sche Dehu­ma­ni­sie­rung zu entledigen.

Reli­gi­on und Poli­tik - reloaded

Eine mit Beson­nen­heit, Geduld und Klug­heit lös­ba­re Auf­ga­be wird aus dem poli­ti­schen Feld in das reli­giö­se über­tra­gen, was eine poli­ti­sche Her­aus­for­de­rung in einen poten­zi­ell reli­giö­sen Kon­flikt umwan­delt und eine nor­ma­le Kri­se erst in eine Fra­ge von Leben und Tod im Kampf gegen das Böse künst­lich eska­liert. Die Selbst­wahr­neh­mung Euro­pas als Herz der „Frei­en Welt“, das sei­ne Lebens­en­er­gie gleich­zei­tig gegen Russ­land, Ame­ri­ka und Chi­na behaup­ten müs­se, liegt so fern­ab vom tat­säch­li­chen Krank­heits­zu­stand des einst­mals gro­ßen Krie­gers, dass man am Geis­tes­zu­stand der euro­päi­schen Eli­ten ernst­haf­te Zwei­fel anmel­den muss. Euro­pa hat sei­nen Bedeu­tungs­ver­lust nach der Hoch­pha­se der Herr­schaft über den gesam­ten Erd­ball offen­bar noch immer nicht ver­kraf­tet und fan­ta­siert sich eine Grö­ße, die längst der Ver­gan­gen­heit ange­hört. Die Zei­ten, als Papst Alex­an­der VI. nach der Wie­der­ent­de­ckung Ame­ri­kas durch Kolum­bus den Glo­bus in zwei Hälf­ten teil­te und eine den Por­tu­gie­sen, die ande­re den Spa­ni­ern zur Aus­plün­de­rung über­gab, Zei­ten, in denen sich Euro­pa als die Son­ne füh­len könn­te, um die sich alles dreht, sind defi­ni­tiv vor­bei. Freud sprach von den drei gro­ßen nar­ziss­ti­schen Krän­kun­gen, der von Koper­ni­kus, der die Erde aus dem Zen­trum rück­te, der von Dar­win, der erklär­te, dass die gott­glei­chen Geschöp­fe vom Affen abstam­men und der von Freud selbst, der bele­gen konn­te, dass das sou­ve­rä­ne Ich nicht Herr in eige­nen Haus ist.

Ame­ri­ka und „der Westen“

Die bei­den zen­tra­len Macht­fak­to­ren des west­li­chen Kon­ti­nen­tal­eu­ro­pas sind in einem bekla­gens­wer­ten Zustand. Frank­reich, mitt­ler­wei­le bei der Fünf­ten Repu­blik ange­kom­men, hat seit der fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on sein eige­nes Sou­ve­rä­ni­täts­pro­blem nicht gelöst und jagt als ein­zi­ge west­eu­ro­päi­sche Atom­macht alten abso­lu­tis­ti­schen Träu­men euro­päi­scher Hege­mo­ni­al­macht hin­ter­her. Deutsch­land, das sich nach zwei Nie­der­la­gen an ihrer Welt­herr­schafts­fan­ta­sie die Fin­ger ver­brann­te, hat sich poli­tisch so weit­ge­hend infan­ti­li­siert, dass es als ernst zu neh­men­der Macht­fak­tor aus­fällt, zumal es schon mit der Ver­ket­ze­rung einer alter­na­ti­ven poli­tisch Bewe­gung über­for­dert ist, von der vor­aus­ei­len­den Unter­wer­fung unter einen ein­ge­wan­der­ten fun­da­men­ta­lis­ti­schen Islam gar nicht zure­den. Ein Land mit umfang­rei­cher Erfah­rung in der Per­ver­si­on des Rechts, das erneut die eige­ne Jus­tiz für den Macht­er­halt poli­ti­siert, will sich als kon­ti­nen­ta­ler Rechts­trä­ger auf­spie­len? Nach den zwei ange­zet­tel­ten Welt­krie­gen darf Deutsch­land im euro­päi­schen Kon­zert ohne­hin nur mit dem Scheck­buch wedeln. Den jun­gen Ame­ri­ka­nern, die statt aufs Col­lege zu gehen am Oma­ha Beach auf den Strand lie­fen und zusam­men­ge­schos­sen wur­den, konn­te Prä­si­dent Roo­se­velt noch annä­hernd glaub­haft ver­mit­teln, wofür sie ihr Leben opfern. Wel­cher halb­wegs intel­li­gen­te euro­päi­sche Stu­dent soll für die­sen fau­len­den Apfel sein Leben aufs Spiel setzen?

Der Macht­aus­ein­an­der­set­zung mit Russ­land war ver­lo­ren, als „der Wes­ten“ ent­schied, die Rus­sen in die Ukrai­ne ein­mar­schie­ren zu las­sen und kein Stopp­schild auf­stell­te. Inzwi­schen ist aus der ursprüng­lich als „Spe­zi­al-Ope­ra­ti­on“ dekla­rier­ten Maß­nah­me ein zyni­scher Abnut­zungs­krieg gewor­den, von dem nur weni­ge pro­fi­tie­ren, aber vie­le den Preis bezah­len. Hand­fes­te US-Inter­es­sen im Land wären die bes­te Sicher­heits­ga­ran­tie, die die Ukrai­ne bekom­men kann, weit vor allen inter­na­tio­na­len Ver­trä­gen und ande­ren libe­ra­len Illusionen.

Aktu­ell gibt es ledig­lich drei glo­ba­le Machtak­teu­re mit je unter­schied­li­chen Vor­stel­lun­gen einer poli­ti­schen Ord­nung, von denen die chi­ne­si­sche für jede frei­heit­li­che Per­spek­ti­ve am gefähr­lichs­ten ist. Nach dem Zer­fall des Sowjet­im­pe­ri­ums kämpft Russ­land dar­um, über­haupt wie­der ernst genom­men zu wer­den - Fukuyama’s Ende der Geschich­te bedeu­te­te nicht das Ende des Kamp­fes um Aner­ken­nung - Chi­na will den Glo­bus in ein rie­si­ges Lager ver­wan­deln und die Mensch­heit in eine dres­sier­te Affen­hor­de trans­for­mie­ren, wäh­rend Ame­ri­ka sich zum Teil wie­der sei­ner Wur­zeln erin­nert. Euro­pas Pro­blem ist weder Russ­land noch die USA, son­dern aus­schließ­lich Euro­pa selbst und das schon ziem­lich lan­ge. Euro­pa als ver­nach­läs­sig­ba­re Grö­ße soll­te sich gut über­le­gen, wel­che Ord­nung sei­nen Bür­gern am ehes­ten zukommt und sich die­ser als nütz­li­cher Gefähr­te anbieten.