In den poli­ti­schen Macht­kämp­fen in Isra­el spielt ein Amt und eine Per­son eine Rol­le, die hier­zu­lan­de Auto­kra­ten träu­men lässt. Gali Baha­rav-Mia­ra, Rechts­be­ra­te­rin der Regie­rung, tritt auf als wäre sie eine eige­ne Gewalt im Gefü­ge der Gewal­ten­tren­nung. Anstatt die Regie­rung in Rechts­fra­gen oder vor dem Obers­ten Gericht zu ver­tre­ten, liest sie die­ser regel­mä­ßig und unge­fragt die Levi­ten. Anstatt Regie­rungs­han­deln vor den dafür zustän­di­gen Gerich­ten zu recht­fer­ti­gen, schwingt sie sich selbst zur obers­ten Rich­te­rin auf. 

Gou­ver­nan­te von Got­tes Gnaden

Wie kei­ne ande­re, die die­ses Amt bis­her inne­hat­te, greift Gali Baha­rav-Mia­ra in die all­täg­li­chen und aku­ten Ent­schei­dungs­pro­zes­se der Regie­rung ein. Israe­lis fra­gen sich inzwi­schen, wie sich die Macht ihres Amtes, ihr Mut aber auch ihre Anma­ßung legi­ti­miert. Sie tritt auf wie eine Gou­ver­nan­te von Got­tes Gnaden. 

Baharav-Miara‘s Anma­ßun­gen sind nur mög­lich, da Isra­el kei­ne Ver­fas­sung besitzt und der Obers­te Gerichts­hof eine Kul­tur der Selbst­er­mäch­ti­gung der Rich­ter­klas­se eta­bliert hat. Wenn Baha­rav-Mia­ra der Regie­rung ins Besteck greift, lan­det der von ihr kre­ierte “Fall“ vor dem Obers­ten Gerichts­hof, also wie­der bei der All­macht der Ver­nünf­tig­keit von Rich­ter­kö­ni­gen - aus­führ­lich dazu hier im Blog. In einer Mischung aus Rich­ter und pro­phe­ti­schem Got­tes­kö­nig­tum hat der lang­jäh­ri­ge Vor­sit­zen­de des Obers­ten Gerichts, Aha­ron Barak, die Ver­nünf­tig­keits­klau­sel („reasonable clau­se“) ein­ge­führt, die es obers­ten Rich­tern ermög­licht - in Abwe­sen­heit einer geschrie­be­nen und rati­fi­zier­ten Ver­fas­sung - die Will­kür der eige­nen Ver­nunft zum Ver­fas­sungs­grund­satz umzu­deu­ten. Baha­rav-Mia­ra han­delt als der ver­län­ger­te Arm die­ser rich­ter­li­chen Selbst­über­he­bung und Unfehl­bar­keits­fan­ta­sie, die den Obers­ten Gerichts­hof über die letz­ten Jahr­zehn­te immer mehr von der israe­li­schen Rea­li­tät ent­fernt hat. 

Baha­rav-Mia­ra agiert wie eine Ver­tre­te­rin der Oppo­si­ti­on auf der Regie­rungs­bank und prä­sen­tiert ihre Inter­ven­tio­nen im Ges­tus einer Ver­fas­sungs­rich­te­rin – angeb­lich alles ohne poli­ti­sche Inter­es­sen und natür­lich nur, um die „israe­li­sche Demo­kra­tie zu ret­ten“. Fak­tisch kol­la­biert in ihrem Amt und wie sie es aus­legt die Gewal­ten­tren­nung. Das hält aber ihre Fans nicht davon ab, sie als Garant der Demo­kra­tie zu ver­kau­fen. Demo­kra­tie ohne Gewal­ten­tren­nung – kommt uns das nicht bekannt vor?

Spaß­brem­se und Klotz am Bein

Die Kon­struk­ti­on des Rechts­be­ra­ters der Regie­rung ist in Isra­el so son­der­bar und selt­sam, dass sich der Ver­gleich mit ande­ren Län­dern eigent­lich ver­schlägt. Den­noch wird Baha­rav-Mia­ra in den hie­si­gen Medi­en immer als „Gene­ral­staats­an­wäl­tin“ bezeichnet.

Mir ist kei­ne Repu­blik und kein Rechts­staat bekannt, der sich einen ähn­li­chen Brems­klotz in der Exe­ku­ti­ve leis­tet. Wenn sie eine Rei­se in ein fer­nes und auf­re­gen­des Land unter­neh­men, ist es rat­sam, Spaß­brem­sen und Klöt­ze am Bein zu Hau­se zu las­sen. Ansons­ten kann es sein, dass sie nach einer mit­ter­nächt­li­chen Lan­dung in Ast­a­na (Haupt­stadt von Kasach­stan) mit ihrer Rei­se­grup­pe in die bereit­ge­stell­ten Jeeps ein­stei­gen wol­len, nur um zu erfah­ren, dass die Fah­rer der Gelän­de­wa­gen vom ADAC und dem deut­schen Tou­ris­mus­ver­band bestellt wur­den und den Arbeits­zei­ten der „Gewerk­schaft deut­scher Reisefüher*innen“ unter­lie­gen - sie also erst noch fünf Stun­den war­ten müs­sen, um los­zu­fah­ren. Spä­tes­tens dann ahnen sie, was die insti­tu­tio­nel­len Spaß­brem­sen aus ihrer Aben­teu­er­rei­se machen wer­den. Zwar ist Regie­ren mehr als nur Aben­teu­er, aber ein Land wie Isra­el braucht eine Regie­rung, die auf der Basis aktu­el­ler Lage-Ein­schät­zun­gen hand­lungs­fä­hig ist. Kein Wun­der, wenn vie­len Israe­lis die höchst­rich­ter­li­che Gou­ver­nan­te nicht als Rei­se­füh­re­rin akzeptieren.

Behör­den­lei­te­rin, Rechts­be­ra­te­rin, Gerichtsvertreterin 

Die offi­zi­el­le Job­be­schrei­bung von Gali Baha­rav-Mia­ra klingt zwar wie jene des „Att­or­ney Gene­ral“ in den USA, aber die Rea­li­tät sieht ganz anders aus. Pam Bon­di wur­de von Prä­si­dent Trump als Jus­tiz­mi­nis­te­rin (Att­or­ney Gene­ral) vor­ge­schla­gen und sie wur­de gemäß der Ver­fas­sung der USA nach Anhö­rung vom US-Senat bestä­tigt. Das Amt wur­de kurz nach der Rati­fi­zie­rung der Ver­fas­sung schon 1789 geschaf­fen. Erst 1870 kam ein Jus­tiz­mi­nis­te­ri­um als Behör­de hin­zu. Der ame­ri­ka­ni­sche Att­or­ney Gene­ral ver­eint daher was bei uns auf zwei Ämter ver­teilt ist:

- einen von der Regie­rung bestimm­ten poli­ti­schen Beam­ten, den Gene­ral­bun­des­an­walt, und

- den der Regie­rung ange­hö­ri­gen Justizminister. 

Der Att­or­ney Gene­ral in den USA hat die Auf­ga­be die Regie­rung und den Prä­si­den­ten zu bera­ten und vor Gerich­ten (z.B. Supre­me Court) zu ver­tre­ten, wenn Ent­schei­dun­gen der Exe­ku­ti­ve auf dem Rechts­weg in Fra­ge gestellt wer­den. Dazu muss der Att­or­ney Gene­ral gege­be­nen­falls auch gegen die Rich­ter­bü­ro­kra­tie vor­ge­hen. So hat Pam Bon­di gera­de erwirkt, dass die berühm­ten „Epstein files“ aus den Kel­lern des zustän­di­gen Gerichts her­aus­ge­holt wer­den, da die­ses offen­bar kein Inter­es­se an einer Straf­ver­fol­gung und öffent­li­chen Auf­klä­rung hat­te. Noch­mals im Rei­se­grup­pen-Ver­gleich: der Att­or­ney Gene­ral wird von der Rei­se­grup­pe aus­ge­wählt und ver­folgt die­sel­ben aben­teu­er­li­chen Zie­le wie die Füh­rung der Rei­se­grup­pe. Er oder sie gehö­ren zum Team und haben nicht die Rol­le der Spaßbremsung.

Die Behör­de, die Baha­rav-Mia­ra anführt, ist weder dem deut­schen Gene­ral­bun­des­an­walt noch dem US-Att­or­ney Gene­ral ver­gleich­bar. Die Kom­pe­ten­zen und Befug­nis­se, die sie hat oder sich anmaßt, sind weit­rei­chend und weder poli­tisch durch eine gewähl­te Instanz noch (recht­lich) durch eine Ver­fas­sung begrenzt. Obschon sie weder über ein poli­ti­sches Man­dat noch durch eine öffent­li­che Anhö­rung legi­ti­miert wur­de, greift sie in die täg­li­che Pra­xis der Exe­ku­ti­ve und in die Aus­ein­an­der­set­zung über aktu­el­le, poli­ti­sche The­men ein. Sie kann zwar vom Obers­ten Gerichts­hof ermahnt und kri­ti­siert, aber nicht abbe­ru­fen wer­den. Ihre Aus­wahl und Abwahl wird in einem klei­nen Kreis ver­han­delt, des­sen Beset­zung förm­lich nach Inzucht und poli­ti­schen Seil­schaf­ten riecht. 

Ein Fün­fer-Gre­mi­um, ange­führt von einem ehe­ma­li­gen Rich­ter des Obers­ten Gerichts, und je einem 

- ehe­ma­li­gen Jus­tiz­mi­nis­ter oder Att­or­ney General,

- einem Ver­tre­ter der Knes­set (Par­la­ment),

- einem Ver­tre­ter der juris­ti­schen Fakul­tät (Uni­ver­si­tät)

- einem Ver­tre­ter der Anwalts­ver­ei­ni­gung (Berufs­ver­band)

emp­fiehlt die Ernen­nung und Ent­he­bung, die dann vom Kabi­nett bestä­tigt oder abge­lehnt wer­den kann. Aus dem Fün­fer­kreis muss sich nur der Knes­set-Ver­tre­ter vor dem Sou­ve­rän des Wäh­lers ver­ant­wor­ten. Die Sit­zun­gen des Fün­fer-Gre­mi­ums sind nicht öffent­lich und lan­ge Zeit wur­den deren Pro­to­kol­le geheim gehal­ten. Schon die Ein­be­ru­fung des Gre­mi­ums ist ange­sichts der auf­ge­heiz­ten öffent­li­chen Debat­te zur Jus­tiz­re­form ein Pro­blem. Es ist frag­lich, ob der Jus­tiz­mi­nis­ter jemand fin­det, der bereit ist im Gre­mi­um mitzuarbeiten.

Israe­li­sche Demo­kra­tie als Exportschlager?

Da Gali Baha­rav-Mia­ra nicht - wie unser Gene­ral­bun­des­an­walt - dem Jus­tiz­mi­nis­te­ri­um unter­stellt ist, ver­sucht der der­zei­ti­ge israe­li­sche Jus­tiz­mi­nis­ter Yariv Levin (kei­ne Ver­wandt­schaft mit dem Autor) sie seit Mona­ten abzu­set­zen. Baha­rav-Mia­ra wur­de von einer vor­he­ri­gen Regie­rung ein­ge­setzt und ihre Amts­zeit ist auf 6 Jah­re bestimmt. Sie kann vor­her abbe­ru­fen wer­den, aber der Jus­tiz­mi­nis­ter schafft es kaum das Gre­mi­um, das zu ihrer Abset­zung nötig ist, ein­zu­be­ru­fen. Kein Wun­der also, wenn hie­si­ge Auto­kra­ten von israe­li­schen Ver­hält­nis­sen träu­men. In ihren Träu­men stel­len sie sich eine zukünf­ti­ge, deut­sche Kanz­le­rin vor, die den Jus­tiz­mi­nis­ter und Gene­ral­bun­des­an­walt der vor­he­ri­gen Regie­rung über­neh­men muss und sich - trotz Wäh­ler­auf­trag und poli­ti­schem Man­dat -der gött­li­chen Ver­nünf­tig­keit der vor­he­ri­gen Regie­run­gen unter­wer­fen muss. In den Träu­men der Auto­kra­ten ist das eben­so unpro­ble­ma­tisch, wie die Fest­le­gung zukünf­ti­ger Gene­rationen durch den Todes­seuf­zer eines bereits aus­ge­dien­ten Parlaments.