„…dass es außer­halb des Ver­spre­chens kei­ne ‚Mora­li­sie­re­rei‘ geben darf“
Han­nah Arendt

Im August 1945 - nicht ein­mal vier Mona­te nach der Kapi­tu­la­ti­on des Drit­ten Rei­ches - schick­te der damals schon berühm­te Pari­ser Phi­lo­soph Alex­and­re Kojè­ve ein Memo­ran­dum an den Chef der pro­vi­so­ri­schen Regie­rung Frank­reichs, Charles de Gaul­le. Kaum war das auf tau­send Jah­re ange­leg­te ger­ma­ni­sche Reich nach nur weni­gen Jah­ren in einer gigan­ti­schen Kata­stro­phe zer­platzt, emp­fahl Kojè­ve sei­nem Gene­ral die Errich­tung eines neu­en latei­ni­schen Rei­ches, bestehend aus den katho­li­schen Län­dern Spa­ni­en, Ita­li­en und Frank­reich, das mit der Gran­de Nati­on als pri­mus inter pares das ger­ma­ni­sche Reich in die Rol­le des unter­wor­fe­nen Knechts zwin­gen sollte.

Der Exil-Rus­se und Hegel-Ken­ner Kojè­ve war nicht irgend­wer. Kaum einer der fran­zö­si­schen Man­darins, die in der Nach­kriegs­zeit Rang und Namen gewan­nen, war nicht in sei­nen Vor­le­sun­gen zu Hegels Phä­no­me­no­lo­gie des Geis­tes, die er von 1933-39 an einer Pari­ser Hoch­schu­le hielt. In einem Zei­tungs­bei­trag von 2018 erin­ner­te Wolf Lepe­nies zu Kojè­ves 50sten Todes­tag an einen Satz, der deut­lich mach­te, wie sich der um Selbst­be­wusst­sein nicht ver­le­ge­ne Kojè­ve selbst sah: „De Gaul­le ent­schei­det über die Atom­bom­be und Russ­land. Ich ent­schei­de über alles andere.“

In Frank­reich wur­de der Text des Memo­ran­dums erst 1990 ver­öf­fent­licht, eine deut­sche Über­set­zung erschien 1991i. Dass es sich dabei nicht um welt­frem­de Ideen eines Phi­lo­so­phen han­del­te, mögen ein paar weni­ge Hin­wei­se ver­deut­li­chen. Stell­ver­tre­tend für vie­le deut­sche Nach­kriegs­stim­men sei an Peter Glotz erin­nert, der ange­sichts der dro­hen­den deut­schen Wie­der­ver­ei­ni­gung weni­ger aus Ein­sicht, denn aus Pfle­ge sei­nes anti-deut­schen, anti-natio­na­len Affekts an die Tra­di­ti­on des Rei­ches anknüp­fen woll­te, um den Irr­weg des Natio­nal­staats zu ver­mei­den. Außer dem „Anti-“, mit dem mitt­ler­wei­le eine gan­ze west­deut­sche Gene­ra­ti­on ver­sucht, sich aus der poli­ti­schen Ver­ant­wor­tung zu steh­len, hat­te er aller­dings nicht viel anzu­bie­ten. Am 15. März 2013 erschien in der ita­lie­ni­schen Tages­zei­tung La Repubbli­ca ein Text von Gior­gio Agam­ben, der mit einer apo­ka­lyp­ti­schen War­nung nach­drück­lich an Kojè­ves Vor­stel­lung vom latei­ni­schen Reich erin­ner­te, um der dro­hen­den deut­schen Vor­macht in Euro­pa etwas ent­ge­gen zu set­zen. Tho­mas Ass­heu­er deu­te­te dar­auf­hin in DIE ZEIT Agam­bens Pam­phlet als fina­len Weck­ruf: „Ent­we­der Euro­pa schreibt sei­ne Ver­fas­sung um und grün­det ein ‚latei­ni­sches Reich‘ unter Füh­rung Frank­reichs. Oder es zerfällt“. 

Die weni­gen Hin­wei­se müs­sen genü­gen, um dar­auf auf­merk­sam zu machen, dass die Fra­ge der poli­ti­schen Ord­nung Euro­pas kei­nes­wegs beant­wor­tet ist. Die Iden­ti­fi­ka­ti­on des Natio­nal­so­zia­lis­mus als „deut­sches Pro­blem“ ver­schlei­ert nur die west­li­che Dimen­si­on der Kri­se. Die natio­na­le Ent­po­li­ti­sie­rung und euro­päi­sche Zen­tra­li­sie­rung einst natio­nal­staat­li­cher Büro­kra­tien hat zwar den büro­kra­ti­schen Sek­tor extrem ver­grö­ßert, dafür den natio­nal­staat­li­chen Sou­ve­rän zuguns­ten einer Herr­schaft des Nie­mand wei­ter ent­po­li­ti­siert, an den fun­da­men­ta­len Defi­zi­ten der poli­ti­schen Ord­nung aber wenig ver­än­dert. Außer den Pro­fi­teu­ren wird kaum jemand den Sumpf aus Kor­rup­ti­on, Inkom­pe­tenz und maß­lo­ser Selbst­über­schät­zung, in dem die EU ver­sinkt, als Leucht­turm poli­ti­scher Klug­heit hin­stel­len.

Im August 1950, nur fünf Jah­re spä­ter als Kojè­ves Memo­ran­dum, begann Han­nah Are­ndt mit der Nie­der­schrift der ers­ten Text­frag­men­te zur Fra­ge „Was ist Poli­tik“. Auch die­se Tex­te, zahl­rei­che Brief­wech­sel und das Denk­ta­ge­buch sind erst nach Ihrem Tod aus dem Nach­lass ver­öf­fent­licht wor­den. Weil Phi­lo­so­phen und Theo­lo­gen immer nur den Men­schen dach­ten, so Are­ndts ein­fa­che wie weit­rei­chen­de Ant­wort, ori­en­tier­ten sich ihre Vor­stel­lun­gen einer poli­ti­schen Ord­nung an einem sin­gu­lä­ren Kör­per, des­sen unter­schied­li­che Orga­ne und Regun­gen von einem Zen­trum sowohl unter Kon­trol­le als auch zum Aus­druck zu brin­gen sei­en. Zur ent­schei­den­den Fra­ge jeder poli­ti­schen Ord­nung, wie einer prin­zi­pi­ell unend­li­chen Men­ge unter­schied­li­cher Mei­nun­gen ein gewalt­frei­er Aus­tra­gungs­ort ihrer Dif­fe­ren­zen ein­zu­rich­ten sei, hat­ten die Meta­phy­si­ker nicht viel zu sagen. Es könn­te sich daher loh­nen, eine dezi­diert phi­lo­so­phi­sche Per­spek­ti­ve, eine sich tas­tend davon eman­zi­pie­ren­de poli­ti­sche und die tat­säch­li­che Ent­wick­lung mit dem Schwer­punkt auf Deutsch­land gegen­ein­an­der zu beleuchten.

Das Ende des Nationalstaats

Kojè­ve wie Are­ndt gin­gen durch die Erfah­rung der zwei Welt­krie­ge davon aus, dass die Zeit der kon­ti­nen­tal­eu­ro­päi­schen Natio­nal­staa­ten vor­bei sei, kamen aber aus unter­schied­li­chen Wegen zu die­ser Ein­sicht und zogen gänz­lich ande­re poli­ti­sche Schluss­fol­ge­run­gen aus der glei­chen Erfah­rung. Kojè­ve mach­te es an der Nie­der­la­ge des Drit­ten Rei­ches und sei­ner Wunsch­vor­stel­lung fest, dass Frank­reich zukünf­tig auf dem Kon­ti­nent wie­der die ers­te Gei­ge zu spie­len hät­te. Dazu müs­se man mit der gesam­ten natio­na­len, libe­ra­len Tra­di­ti­on bre­chen, die blo­ckie­ren­de Links/­Rechts-Oppo­si­ti­on über­sprin­gen, um als latei­ni­sches Reich unter Frank­reichs Füh­rung ‚den gesam­ten Okzi­dent - den latei­ni­schen und den ande­ren - vor dem Ruin zu ret­ten‘. Indem er de Gaul­le als gerech­ten christ­li­chen Herr­scher gegen den Tyran­nen Hit­ler posi­tio­nier­te, argu­men­tier­te Kojè­ve in ver­trau­ten Bah­nen. Als Beleg für die deut­schen ideen­ge­schicht­li­chen Kon­ti­nui­tä­ten führ­te Fritz Fischer einen Vor­trag an, den Hel­mut von Molt­ke 31 Jah­re zuvor im Novem­ber 1914 gehal­ten hat­te. Molt­ke for­mu­lier­te sei­ner­zeit durch­aus ähn­lich, aber mit ger­ma­ni­schem statt latei­ni­schem Herr­schafts­an­spruch: „Die roma­ni­schen Völ­ker haben den Höhe­punkt ihrer Ent­wick­lung schon über­schrit­ten, sie kön­nen kei­ne befruch­ten­den Ele­men­te in die Welt­ent­wick­lung hin­ein­tra­gen. Die sla­wi­schen Völ­ker, in ers­ter Linie Russ­land, sind noch zu weit in der Kul­tur zurück, um die Füh­rung der Mensch­heit zu über­neh­men. Unter der Herr­schaft der Knu­te wür­de Euro­pa in den Zustand geis­ti­ger Bar­ba­rei zurück­ge­führt wer­den. Eng­land ver­folgt nur mate­ri­el­le Zie­le. Eine güns­ti­ge Wei­ter­ent­wick­lung der Mensch­heit ist nur durch Deutsch­land mög­lich.“ii

Zwei Welt­krie­ge spä­ter wäre eine ‚ger­ma­ni­sche Marsch­rich­tung‘ unter deut­scher Füh­rung, selbst ohne Eng­land, für Frank­reich töd­lich, eine Wen­dung, mit der Kojè­ve den okzi­den­ta­len Ant­ago­nis­mus zwi­schen dem latei­ni­schen und dem ger­ma­ni­schen wie­der umkehrt. Für ihn soll­te der Welt­geist ab jetzt fran­zö­sisch spre­chen. Bei der Fra­ge, wie die Auto­no­mie des latei­ni­schen All­ge­mein­wil­lens zur Gel­tung zu brin­gen sei, wie und durch wen er kon­kret poli­tisch ver­kör­pert wer­den kön­ne, hielt sich Kojè­ve bedeckt. Neben Gene­ral de Gaul­le tauch­te nur ein wei­te­rer Name auf, der aller­dings eigens betont und somit als Prä­ze­denz­fall her­an­ge­zo­gen wer­den kann. Nach dem Ende der libe­ra­len, d.h. natio­na­len oder natio­na­lis­ti­schen Peri­ode, müs­se man sich dem impe­ria­len Pro­blem neu stel­len: „Man kommt gewis­ser­ma­ßen in die Zeit Gre­gors VII. zurück - aller­dings mit dem Unter­schied, dass es die Kir­che nun auf der poli­ti­schen Ebe­ne nicht mehr mit einem prä­na­tio­na­len son­dern mit einem post­na­tio­na­len Reich zu tun haben wird. Und das ändert die Situa­ti­on grund­le­gend: es erfor­dert von neu­em eine Hal­tung und eine Ent­schei­dung, die ‚total‘ sind.“iii Die Erwäh­nung von Gre­gor VII., der auch die Zucht­ru­te Got­tes genannt und mit dem Allein­herr­schafts­an­spruch des Dic­ta­tus Papae bekannt wur­de, in Ver­bin­dung mit dem Wort ‚total‘ lässt erah­nen, dass Kojè­ve eine fran­zö­sisch domi­nier­te Herr­schaft des EINEN im Sinn hat­te. Von den 27 ein­zeln for­mu­lier­ten Ansprü­chen des Dica­tus Papae sei nur die­je­ni­ge zitiert, die das Urtei­len und Rechts­we­sen betrifft: „Dass sein Urteils­spruch von nie­man­dem wider­ru­fen wer­den darf und er selbst als ein­zi­ger die Urtei­le aller wider­ru­fen kann.“

Wie der feu­da­le Fürst, der aus mili­tär-öko­no­mi­schen Grün­den mit dem Auf­kom­men der Artil­le­rie irgend­wann sei­ne Krie­ger nicht mehr aus­rei­chend aus­stat­ten kann, in der Nati­on auf­ge­ho­ben wird, müs­se der Natio­nal­staat, um sich im Umfeld von Impe­ri­en behaup­ten zu kön­nen, grö­ße­ren Gebil­den wei­chen. Die auf eine klas­si­sche Natio­nal­öko­no­mie und -bevöl­ke­rung begrenz­te Kriegs­fä­hig­keit der Nazis hät­te sich als nicht mehr aus­rei­chend erwie­sen. Auch mit ste­tig wach­sen­dem Skla­ven­ar­se­nal aus den erober­ten Gebie­ten hät­te Hit­lers idea­ler Natio­nal­staat sei­ne impe­ria­len Ansprü­che nicht umset­zen kön­nen und sei an sei­nen zen­tra­len Wider­sprü­chen geschei­tert. Um moder­ne Armeen aus­zu­stat­ten, im Kampf um Aner­ken­nung kriegs- und behaup­tungs­fä­hig zu blei­ben, müss­ten Natio­nen in grö­ße­ren Rei­chen auf­ge­ho­ben wer­den. Wer sich gegen Gebil­de wie den sowje­ti­schen „Impe­ri­alsozia­lis­mus“ oder den angel­säch­si­schen „Impe­ri­alkapi­ta­lis­mus“ als merk­lich klei­ne­res Euro­pa behaup­ten wol­le, kön­ne dies nur mit einem eben­falls impe­ria­len Kon­strukt ver­wand­ter Natio­nen. Deutsch­land, so resü­mier­te Kojè­ve sei­ne geschicht­li­che Lek­ti­on, hät­te die­sen Krieg ver­lo­ren, weil es ihn als Natio­nal­staat gewin­nen woll­te.iv

Wäh­rend der Phi­lo­soph sei­ner Vor­stel­lung von Gemein­we­sen eine öko­no­misch begrün­de­te hegel­sche Geschichts­dia­lek­tik unter­leg­te, in der kei­ne Stu­fe über­sprun­gen wer­den kann: vom Lan­des­herrn zur Nati­on, von der Nati­on zum Reich und vom Reich zur Mensch­heit, die Nati­on somit als ein not­wen­di­ges Durch­gangs­sta­di­um ange­se­hen wur­de, das im Reich auf­ge­ho­ben wer­den wird, kon­fron­tier­te sich Are­ndt weit­aus inten­si­ver den unge­wohn­ten Erfah­run­gen der Zwi­schen­kriegs­zeit, um zu zei­gen, wie der Natio­nal­staat, der kein Natio­na­li­tä­ten­staat sein woll­te, als poli­ti­sches Expe­ri­ment an sei­nen inne­ren Wider­sprü­chen zer­fal­len ist. Kojè­ve wie Are­ndt ein­te die Empha­se auf der Fähig­keit, sich als Gemein­we­sen nach den Erfah­run­gen neu zu kon­sti­tu­ie­ren.v Am 21. April 1946 schrieb sie an Gers­hom Scholem: „Ich kann sie nicht dar­an hin­dern, ein Natio­na­list zu sein, obwohl ich auch nicht recht ein­se­hen kann, war­um sie so stolz dar­auf sind. Ich bin auch nicht der Mei­nung, dass Natio­na­lis­mus tot ist. Im Gegen­teil. Was tot ist, ist die Nati­on oder bes­ser der Natio­nal­staat als Orga­ni­sa­ti­on von Völ­kern. Dies dürf­te jedem His­to­ri­ker, der weiß, dass die Nati­on von ihrer Sou­ve­rä­ni­tät abhängt und von der Iden­ti­tät von Staat, Volk und Ter­ri­to­ri­um, klar sein.“

Die von eini­gen immer noch glo­ri­fi­zier­ten ‚Frie­dens­ma­cher‘vi der Ver­sailler Ver­trä­ge nach dem Ers­ten Welt­krieg hät­ten, um ihren sta­tus quo als Sie­ger­mäch­te zu erhal­ten, nicht nur das gera­de durch den Krieg geschei­ter­te fran­zö­si­sche Modell des Natio­nal­staa­tes in den Osten expor­tiert, mit dem gran­dio­sen Expe­ri­ment vom Selbst­be­stim­mungs­recht der Völ­kervii eine Unzahl von (krie­ge­ri­schen) Kon­flik­ten ange­zet­telt, die zum Teil bis heu­te andau­ern, son­dern auch ganz unge­niert gefor­dert, dass die natio­na­len Min­der­hei­ten sich ent­we­der assi­mi­lie­ren oder liqui­diert wer­den müss­ten, was außer den erwünsch­ten Natio­nen nicht nur die natio­na­len Min­der­hei­ten her­vor­brach­te, die gegen ihren jewei­li­gen Natio­nal­staat in Stel­lung zu brin­gen und als Kriegs­pfand zu nut­zen waren, son­dern auch eine der größ­ten aller euro­päi­schen ‚Natio­nen‘ zum Vor­schein brach­te: die Mas­sen von staa­ten­lo­sen Flücht­lin­gen, die, aus jeder Rechts­ge­mein­schaft her­aus gesetzt, außer­halb der Geset­ze ste­hend, nicht nur die apo­li­ti­sche Vor­stel­lung von indi­vi­du­el­len Men­schen­rech­ten ad absur­dum führ­ten, son­dern das Recht inner­halb wie zwi­schen den Natio­nen von innen her­aus zersetzten.

Das Expe­ri­ment, eine inter­na­tio­na­le Kör­per­schaft als Garan­ten der Men­schen­rech­te ein­zu­set­zen, war so schnell an den poli­ti­schen Rea­li­tä­ten geschei­tert, dass man sich nur wun­dern kann, wie vie­le die Lek­ti­on bis heu­te nicht ver­stan­den haben. Mit den Juden, die nie­mand haben woll­te, führ­ten die Nazis der west­li­chen Welt die Hohl­heit ihrer unver­äu­ßer­li­chen Men­schen­rech­te vor. Ent­we­der man setz­te die alt­eu­ro­päi­sche Tra­di­ti­on fort, den Schutz des jewei­li­gen Lan­des­her­ren zu erbit­ten oder man setz­te sei­ne Hoff­nun­gen auf einen revo­lu­tio­nä­ren Auf­bruch, der in der Fol­ge der Franz. Revo­lu­ti­on mit der Kop­pe­lung von Volks­sou­ve­rä­ni­tät und Men­schen­rech­ten das eigent­li­che Modell eines Natio­nal­staa­tes abge­ge­ben hatte.

Wo aber die Nati­on den Staat okku­pier­te, zer­setz­te sie die gewach­se­nen Rechts­in­sti­tu­tio­nen und per­ver­tier­te das Recht zur Funk­ti­on eines eini­gen Volks­wil­lens: Recht ist, was dem Vol­ke nutzt. Wer sich als natio­na­le Min­der­heit weder assi­mi­lie­ren noch liqui­die­ren ließ, wur­de dena­tu­ra­li­siert und aus der Staats­bür­ger­schaft ent­las­sen.viii Die Bür­ger­krie­ge, die den Ers­ten Welt­krieg in die Zwi­schen­kriegs­zeit ver­län­ger­ten, hat­ten Völ­ker­wan­de­run­gen zur Fol­ge, „wie sie Euro­pa seit Jahr­hun­der­ten, ja seit Jahr­tau­sen­den nicht mehr gekannt hat­te.“ix Es ent­stan­den die „über­flüs­si­gen Men­schen“, über deren Daseins­recht ande­re entschieden.

Da kein Staat die staa­ten­lo­sen Flücht­lin­ge haben woll­te, waren sie nicht depor­tier­bar. In einer Ord­nung von Natio­nal­staa­ten, die alle anein­an­der grenz­ten, blieb als ein­zi­ger gesetz­lo­ser Ort für die staa­ten­lo­sen Flücht­lin­ge das Inter­nie­rungs­la­ger. Die Ver­wüs­tun­gen im Inne­ren waren noch gewich­ti­ger. „Da der Staa­ten­lo­se ’die Anoma­lie dar­stellt, für die das Gesetz nicht vor­ge­sorgt hat‘, kann er sich nur dadurch nor­ma­li­sie­ren, dass er den Ver­stoß gegen die Norm begeht, die im Gesetz vor­ge­se­hen ist, näm­lich das Ver­bre­chen.“x Es ent­stand die ver­rück­te Situa­ti­on, dass recht­lo­se und völ­lig unschul­di­ge Flücht­lin­ge Ver­bre­chen bege­hen muss­ten, um dadurch wie­der Teil einer Rechts­ge­mein­schaft zu wer­den, aus der sie zuvor aus­ge­setzt wor­den waren.xi Gegen­über der Mas­se von recht­lo­sen Flücht­lin­gen for­mier­te sich eine nicht weni­ger gesetz­lo­se Poli­zei, die mit den Staa­ten­lo­sen machen konn­te, was sie woll­te, ein Instru­ment, dass auto­ri­tä­re bis tota­li­tä­re Regie­run­gen vor­züg­lich zu nut­zen wussten.

Das Ende der französischen Revolution

Mit der fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on ent­stand nicht nur das Modell des Natio­nal­staa­tes, son­dern mit der Volks­sou­ve­rä­ni­tät zugleich das Ele­ment, das zur größ­ten Gefahr die­ses Natio­nal­staa­tes wur­de, auch dar­in waren sich Kojè­ve wie Are­ndt im Prin­zip einig. Wäh­rend die von den remi­grier­ten Post­mar­xis­ten kräf­tig beför­der­te anti­fa­schis­ti­sche Ideo­lo­gie den Natio­nal­so­zia­lis­mus in die reak­tio­nä­re Ecke zu ban­nen such­te, um die revo­lu­tio­nä­re Uto­pie erhal­ten zu kön­nen, ahn­ten Kojè­ve wie Are­ndt das Ver­häng­nis, das die fran­zö­si­sche Revo­lu­ti­on auf dem Kon­ti­nent hin­ter­las­sen hat­te. „Es ist ja klar, dass die Hit­ler­pa­ro­le ‚Ein Reich, ein Volk, ein Füh­rer‘ nur eine - schlech­te - deut­sche Fas­sung des Ord­nungs­ru­fes der fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on ist: ‚Die Repu­blik ist eine und unteil­bar“ schrieb Kojè­ve an de Gaul­le und attes­tier­te Hit­ler, ein aus der Zeit gefal­le­ner Robes­pierre mit napo­leo­ni­scher Atti­tü­de zu sein. Die Fra­ge, ob die fran­zö­si­schen Insti­tu­tio­nen dem Ansturm einer revo­lu­tio­nä­ren Mas­sen­be­we­gung stand­hal­ten wür­den, stell­te er sich im Unter­schied zu Are­ndt, die nach der Emi­gra­ti­on in die USA sehr genau die Unter­schie­de zwi­schen der fran­zö­si­schen und der ame­ri­ka­ni­schen Revo­lu­ti­on stu­diert hat­te, jedoch nicht.

Mit der Volks­sou­ve­rä­ni­tät als Grund einer Nati­on statt dem Gesetz als Zivi­li­sie­rung eines Lan­des ent­stand auch die größ­te Gefahr des Natio­nal­staats: die Mobi­li­sie­rung des Mobs.xii „Da die­se Staats­form gleich­zei­tig die Errich­tung ver­fas­sungs­mä­ßi­ger Regie­run­gen bedeu­tet und wesent­lich auf der Herr­schaft der Geset­ze gegen will­kür­lich des­po­ti­sche Ver­wal­tun­gen beruht hat­te, war es auch die Gefahr, die gera­de für die­se Regie­run­gen töd­lich war. Sobald das immer pre­kä­re Gleich­ge­wicht zwi­schen Nati­on und Staat, zwi­schen Volks­wil­len und Gesetz, zwi­schen natio­na­lem Inter­es­se und lega­len Insti­tu­tio­nen ver­lo­ren ging zuguns­ten eines dem­ago­gisch ver­hetz­ten Volks­wil­lens […] erfolg­te die inne­re Zer­set­zung des Natio­nal­staa­tes mit gro­ßer Geschwin­dig­keit.“xiii Ohne poli­ti­sche Insti­tu­tio­nen, die über aus­rei­chend aner­kann­te Auto­ri­tät ver­fü­gen, medi­al ange­fach­ten Mas­sen­hys­te­rien etwas ent­ge­gen zu set­zen, ist die Mobi­li­sie­rung des Mobs der Unter­gang des alten Euro­pa, eine Lek­ti­on, die man schon aus den Erfol­gen der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Bewe­gung hät­te ler­nen kön­nen und die heu­te - nach der Erfah­rung einer Pan­de­mie, die nur in den Medi­en exis­tier­te - über die Zukunft Euro­pas entscheidet.

Weder Sozialismus noch Liberalismus

Nach dem Krieg hiel­ten Are­ndt wie Kojè­ve die Rück­kehr zu einer bür­ger­li­chen libe­ra­len Ord­nung für einen ver­häng­nis­vol­len poli­ti­schen Feh­ler, bewer­te­ten aller­dings den Sta­li­nis­mus unter­schied­lich. Ohne poli­ti­sche Idee, die den natio­na­len Rah­men der revo­lu­tio­nä­ren unteil­ba­ren Repu­blik über­schrei­te, so warn­te Kojè­ve ein­drück­lich de Gaul­le, wür­de die libe­ra­le Ent­po­li­ti­sie­rung aus den Fran­zo­sen dege­ne­rier­te, kor­rup­te bour­geois machen, womit Frank­reich in weni­gen Jah­ren in der Bedeu­tungs­lo­sig­keit ver­schwin­den, die zivi­li­sa­to­ri­schen Errun­gen­schaf­ten einer christ­lich-katho­li­schen Welt ver­ges­sen wür­den. Der am Maß­stab einer Siche­rung des blo­ßen Lebens und einer Ver­göt­te­rung eines aus allen Macht­op­tio­nen iso­lier­ten Indi­vi­du­ums ori­en­tier­te pazi­fis­ti­sche Libe­ra­lis­mus wol­le die poli­ti­sche Rea­li­tät unter­schied­li­cher Gemein­we­sen zuguns­ten einer zen­tra­li­sier­ten und büro­kra­ti­sier­ten Ver­wal­tung mit ange­schlos­se­ner Poli­zei für die Zwangs­mit­tel auf­lö­sen, den Staat also in einen sozi­al-öko­no­mi­schen Poli­zei­staat ver­wan­deln, wäh­rend der inter­na­tio­na­lis­ti­sche Sozia­lis­mus jede poli­ti­sche Dif­fe­renz­iden­ti­tät und ihren Kampf um Aner­ken­nung dadurch über­sprin­ge, dass er die gesam­te Mensch­heit als Basis tota­ler Herr­schaft und Pla­nung anset­zen wür­de. Statt­des­sen sei­en Impe­ri­en ver­wand­ter Natio­nen mit der Reli­gi­on als ver­bin­den­dem Ele­ment die ein­zi­ge Mög­lich­keit, dem Ver­schwin­den Frank­reichs als eigen­stän­di­gem Gebil­de vor­zu­beu­gen. Statt der Fami­lie der Natio­nen teil­te Kojè­ve die Welt in drei unter­schied­li­che Impe­ri­en ein und nahm dabei die Reli­gi­on als den wich­tigs­ten poli­ti­schen Fak­tor einer Ver­wandt­schaft: den sla­wisch-sowje­tisch-ortho­do­xen Block, den ger­ma­nisch-angel­säch­sisch-pro­tes­tan­ti­schen Block und den latei­nisch-katho­li­schen mit Frank­reich an der Spit­ze. Ein Land wie Deutsch­land, das fähig sei, einer Illu­si­on bis zur Erschöp­fung nach­zu­lau­fen, hielt er für poli­tisch hoff­nungs­los, eine Ein­schät­zung, der man - bis­lang wenigs­tens - schwer­lich wider­spre­chen kann. Deutsch­land wür­de sich im ger­ma­nisch-pro­tes­tan­ti­schen Block ein­sor­tier­ten oder erneut zur gro­ßen Gefahr Euro­pas wer­den. Eine Frei­heits­per­spek­ti­ve für die mit­tel­eu­ro­päi­schen Län­der, die gegen ihren Wil­len in das sowje­ti­sche Impe­ri­um ein­ge­zwun­gen wur­den, spiel­te für Kojè­ve kei­ne Rolle.

Are­ndt, die zur Sich­tung, Inven­tur und Ver­tei­lung noch vor­han­de­ner jüdi­scher Kul­tur­gü­ter nach dem Krieg aus den USA wie­der nach Euro­pa gekom­men war, merk­te eben­falls schnell, dass die Ade­nau­er-Repu­blik kei­ner­lei Anstal­ten mach­te, sich ihrer tat­säch­li­chen poli­ti­schen Lage zu kon­fron­tie­ren und schrieb schon 1952 ent­täuscht an ihren Mann von der Wie­der­kehr des „ver­stun­ke­nen Libe­ra­lis­mus“.xiv

Der Flucht­punkt von Libe­ra­lis­mus und (Öko-)Sozialismus, so las­sen sich bei­der War­nun­gen zuspit­zen, ist die Ver­wand­lung der Mensch­heit in ein ein­zi­ges glo­ba­les Lager unter ein­heit­li­cher büro­kra­ti­scher Herr­schaft, die Men­schen, ihre Unter­schie­de, ihre Fähig­kei­ten und ihre Geschich­ten in beha­vio­ris­tisch steu­er- und plan­ba­re Reiz-Reak­ti­ons­in­di­vi­du­en zurück züch­tet, eine von heu­te und den ‚Fort­schrit­ten‘ von Big Tech aus gese­hen, merk­lich näher gekom­me­ne Dystopie.

Wäh­rend jedoch Kojè­ve die tota­li­tä­ren Erfah­run­gen in links und rechts auf­spal­te­te und das poli­ti­sche Genie Sta­lins her­vor­hob, der sowohl gegen­über der trotz­kis­ti­schen „Uto­pie“ wie gegen­über dem Ana­chro­nis­mus eines Hit­ler­schen Natio­nal-Sozia­lis­mus die Not­wen­dig­keit eines begrenz­ten, aber beherrsch­ba­ren Impe­ri­al-Sozia­lis­mus erkannt habe, stell­te Are­ndt nach den tota­li­tä­ren Ein­brü­chen die Fra­ge, wie denn über­haupt Herr­schaft in die Poli­tik gekom­men war, der sie ursprüng­lich fremd gewe­sen sei.

Der Tyrann und die Verschwörung

Wäh­rend der Gesell­schafts­ver­trag nur eine fik­ti­ve Unter­stel­lung der Phi­lo­so­phen ist, erscheint die Ver­schwö­rung als jener poli­ti­sche Kno­ten, an dem sich Poli­tik, Macht und Recht in nega­ti­ver wie posi­ti­ver Wei­se ver­schrän­ken. In der gegen­wär­ti­gen Pha­se der inten­si­ven Ideo­lo­gi­sie­rung der ver­öf­fent­lich­ten Mei­nung erhielt der Begriff der Ver­schwö­rung einen nicht nur mehr­deu­ti­gen, son­dern manich­äi­schen Cha­rak­ter. Aus der Sicht der­je­ni­gen, die eine allei­ni­ge Herr­schaft über den Dis­kurs eta­blie­ren woll­ten, wur­de jede abwei­chen­de Mei­nung, egal wie sach­lich fun­diert sie begrün­det war, als Ver­schwö­rungs­theo­rie dif­fa­miert, wäh­rend die so Dif­fa­mier­ten dar­auf insis­tier­ten, gegen­über der orga­ni­sier­ten Lüge einer blo­ßen Herr­schafts­an­ma­ßung die eigent­li­che Tat­sa­chen­wahr­heit - das halt­ge­ben­de repu­bli­ka­ni­sche Ele­ment - zu ver­tre­ten. Damit ist ein poli­ti­scher Sinn von Ver­schwö­rung wie­der ans Licht gekom­men, der in der deut­schen Nach­kriegs­ge­schich­te, obwohl er durch die Kriegs­ver­bre­cher­pro­zes­se eigens ein­ge­führt wor­den war, zunächst schnell wie­der in der Ver­schat­tung ver­schwun­den war. Der Begriff der Ver­schwö­rung im Zen­trum der öffent­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung weist dar­auf hin, dass der demo­kra­ti­sche Kon­text ver­las­sen und der tyran­ni­sche betre­ten wur­de. Der Tyrann unter­schei­det nur nach dem, was sei­ne Macht stützt und was sie bedroht. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Aus der in einem demo­kra­ti­schen Kon­text erwünsch­ten Oppo­si­ti­on wird im tyran­ni­schen Kon­text der Extre­mist und die Ver­schwö­rung, die recht­zei­tig ent­deckt und unschäd­lich gemacht wer­den muss, und sei es auch nur, um den Tyran­nen als ent­schlos­se­nen Ret­ter erschei­nen zu las­sen. Aus der Sicht der Tyran­nei bezeich­net der Extre­mis­mus alles, nur nicht die Tyran­nei selbst.

Der Tyrann liebt die Ver­schwö­rung, solan­ge er noch nicht an der Macht ist und er fürch­tet nichts mehr als die Ver­schwö­rung, wenn er an der Macht ist, eine nahe lie­gen­de Para­noia, die man sowohl bei Sta­lin wie Hit­ler in aus­ge­präg­ter Form fin­den konn­te und die auch gegen­wär­tig eine Rück­kehr zu recht­li­chen Ver­hält­nis­sen zu blo­ckie­ren sucht. Usur­pa­to­ren der Macht wis­sen intui­tiv um ihre feh­len­de Legi­ti­ma­ti­on. Sie wis­sen auch, dass die Besei­ti­gung eines Tyran­nen seit Alters her kein Ver­bre­chen, son­dern die ange­mes­se­ne Wie­der­her­stel­lung eines zivi­li­sier­ten Zustan­des ist, in dem die Herr­schaft der Geset­ze wie­der ein­ge­rich­tet wird. Das macht die Tyran­nen, die mit dem Rücken zur Wand ste­hen, und alle die­je­ni­gen, die von ihren ver­teil­ten Pri­vi­le­gi­en abhän­gig sind, so gefährlich.

Die remigrierte Verschwörung

Wis­sen Sie, manch­mal, wenn ich sehr trau­rig bin, 
den­ke ich über das eng­li­sche Recht nach, und das 
macht mich glück­lich. Nur der Gedan­ke dar­an. Die
Art und Wei­se, wie die Eng­län­der mit ihrem Recht
umge­hen, so sorg­fäl­tig, so respektvoll.“
unbe­kann­ter Pole, 1959

Die Dis­kus­si­on, wie mit den Kriegs­ver­bre­chern umzu­ge­hen sei, begann schon wäh­rend des Krie­ges. Die poli­ti­sche Füh­rung der Wei­ma­rer Repu­blik war nach dem Ers­ten Welt­krieg weder in der Lage, die Haupt­ver­ant­wort­li­chen des Krie­ges aus­zu­lie­fern, noch selbst vor Gericht zu stel­len und abzu­ur­tei­len. Eine poli­ti­sche Fähig­keit zur Selbst­rei­ni­gung konn­te man den Deut­schen nicht unter­stel­len. Das noch grö­ße­re Pro­blem: Ver­bre­cher ist eine Rechts­po­si­ti­on. Auch der Ver­bre­cher befin­det sich an einem defi­nier­ten Ort inner­halb einer recht­lich geord­ne­ten, zivi­li­sier­ten Welt. Roo­se­velt, Chur­chill und Sta­lin woll­ten zunächst kein gro­ßes Auf­he­ben um die Sache machen und plä­dier­ten für schnel­le Lösun­gen bis hin zu Mas­sen­exe­ku­tio­nen. Die Nazis hät­ten alle Brü­cken hin­ter sich abge­bro­chen, sich außer­halb des Geset­zes gestellt, wes­halb man sie auch als out­laws behan­deln kön­ne. Wer im Mit­tel­al­ter als vogel­frei aus der Rechts­ge­mein­schaft aus­ge­schlos­sen wur­de, konn­te von jedem erschla­gen wer­den, ohne dass damit eine Straf­tat began­gen wur­de, ein Hin­weis dar­auf, dass Recht, wie die Men­schen­rechts­ideo­lo­gie sug­ge­rie­ren möch­te, kei­ne über­all hin trans­por­tier­ba­re Eigen­schaft von Men­schen, son­dern an Räu­me gebun­den war und zwi­schen natür­lich gewalt­sa­men und poli­tisch-recht­lich befrie­de­ten Räu­men unter­schie­den wur­de. Finanz­mi­nis­ter Hen­ry Mor­genthau - er hat­te Archi­tek­tur und Agro­no­mie stu­diert - war der Nazi-Ideo­lo­gie der „orga­ni­sier­ten Schuld“ auf den Leim gegan­gen und woll­te „die Deut­schen“ unter­schieds­los in ein deindus­tria­li­sier­tes Bau­ern­land ver­wan­deln, das nie wie­der Krieg füh­ren kön­ne. Dage­gen bil­de­te sich Wider­stand um den Kriegs­mi­nis­ter Hen­ry L. Stim­son, einem Anwalt, der sich für eine jus­ti­zi­el­le Auf­ar­bei­tung stark mach­te und kurz vor Kriegs­en­de Tru­man über­zeu­gen konn­te, der wie­der­um Chur­chill und Sta­lin über­zeug­te. Mit dem Lon­do­ner Sta­tut vom 8. August 1945 wur­de die Grund­la­ge für das Inter­na­tio­na­le Mili­tär­tri­bu­nal geschaffen.

Je mehr Details aus dem Krieg der Nazis bekannt wur­den, je weni­ger die Geschich­ten um die Ver­nich­tungs­la­ger bezwei­felt wer­den konn­ten, spä­tes­tens nach der Befrei­ung der ers­ten Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger durch die Rote Armee wur­de jedoch klar, dass man es mit Taten und Tätern zu tun hat­te, die sowohl den recht­li­chen als auch den bis­lang bekann­ten krie­ge­ri­schen Rah­men spren­gen. Mit den gewohn­ten Mög­lich­kei­ten juris­ti­scher Auf­ar­bei­tung war dem nicht bei­zu­kom­men. Die ein­zig ange­mes­se­ne Ant­wort fand Mur­ray C. Ber­nays, ein ame­ri­ka­ni­scher, aus Russ­land ein­ge­wan­der­ter Jude, der als Anwalt und Colo­nel der US Army maß­geb­lich die ame­ri­ka­ni­sche Pro­zess­stra­te­gie ent­wi­ckel­te. Er defi­nier­te die Taten der Natio­nal­so­zia­lis­ten als „Ver­schwö­rung gegen die Zivi­li­sa­ti­on“xv. Gegen­über der in Kon­ti­nen­tal­eu­ro­pa domi­nie­ren­den Figur des Sou­ve­räns legt die Ver­schwö­rung das Schwer­ge­wicht auf das gemein­schaft­li­che, poli­ti­sche Han­deln eben­so wie das gemein­schaft­li­che Nicht-Han­deln. Ein Ein­zel­ner - das im Libe­ra­lis­mus zum Fetisch erho­be­ne Indi­vi­du­um - kann sich nicht ver­schwö­ren, weder für noch gegen die Zivi­li­sa­ti­on, wes­halb Are­ndt vom Gewis­sen als „Grenz­be­griff des Poli­ti­schen“ sprach. Es kann erst dann ins Spiel kom­men, wenn über­haupt kein gemein­schaft­li­ches Han­deln mehr mög­lich ist. 

Eine Ver­schwö­rung ist eine gemein­sa­me Hand­lung, deren Wor­um­wil­len auf einem gegen­sei­ti­gen Ver­spre­chen basiert. Man kann sich für oder gegen etwas ver­schwö­ren. Die Ver­schwö­rung des deut­schen Außen­mi­nis­ters von Rib­ben­trop mit sei­nem sowje­ti­schen Amts­kol­le­gen Molo­tow, die im gehei­men Zusatz­pro­to­koll des Hit­ler-Sta­lin-Pak­tes die Auf­tei­lung Mit­tel­eu­ro­pas fest­leg­te, fand ihre poli­tisch ange­mes­se­ne Ant­wort in einer über 600 Kilo­me­ter lan­gen Men­schen­ket­te durch das gesam­te Bal­ti­kum, mit der sich die drei bal­ti­schen Län­der am 50sten Jah­res­ta­ges des Pak­tes für ihre poli­ti­sche Unab­hän­gig­keit ver­schwo­ren. Als Ver­schwö­rung lässt sich die Wann­see­kon­fe­renz zur büro­kra­ti­schen Abstim­mung der End­lö­sung eben­so fas­sen wie die gro­ße Aus­nah­me der euro­päi­schen Juden­ver­nich­tung. In weit­ge­hend spon­ta­nen Aktio­nen in ganz Däne­mark taten sich Dänen zusam­men, um einen Groß­teil der däni­schen Juden außer Lan­des zu schaf­fen, bevor sie von der deut­schen Besat­zungs­macht ein­ge­sam­melt und depor­tiert wer­den konn­ten.xvi

Mit der Kate­go­rie der Ver­schwö­rung wird zwi­schen die gewohn­ten Auf­tei­lun­gen wahr/falsch im reli­giö­sen oder gut/böse im mora­li­schen Sinn eine drit­te Kate­go­rie gescho­ben: die eines gemein­schaft­li­chen Han­delns, das macht­po­li­ti­sche Durch­set­zung erst ermög­licht. Damit las­sen sich gegen­über der deut­schen Kol­lek­tiv­schuld unter­schied­li­che Hand­lun­gen erfas­sen und beur­tei­len: von den Initia­to­ren der Ver­schwö­rung, dem inne­ren Kreis, den Betei­lig­ten der Ver­schwö­rung, die genau wuss­ten, wor­um es geht und offen zuge­stimmt, bzw. nicht wider­spro­chen haben, den Ver­schwö­run­gen, die Hit­ler besei­ti­gen woll­ten und den mehr oder weni­ger Ahnungs­lo­sen, die gar nicht ver­stan­den oder auch nicht ver­ste­hen woll­ten, was vor sich ging. Zu einer funk­tio­nie­ren­den demo­kra­ti­schen Ord­nung gehört das öffent­li­che Orga­ni­sie­ren von Mehr­hei­ten inner­halb eines sta­bi­len ver­fas­sungs­recht­lich fest­ge­leg­ten Rah­mens. Taucht der Begriff der Ver­schwö­rung im öffent­li­chen Dis­kurs auf, lässt sich dar­an ent­neh­men, dass nun­mehr die Ver­fas­sung selbst auf dem Spiel steht. Wenigs­tens drei Kon­tex­te las­sen sich unter­schei­den: die Ver­schwö­rung einer skru­pel­lo­sen Min­der­heit, die oft unter dem äuße­ren Anstrich der Lega­li­tät eine Zer­stö­rung der poli­ti­schen Ord­nung plant, die insze­nier­te Ver­schwö­rung, die pro­pa­gan­dis­tisch als Ver­ne­be­lung genutzt wird, um die wah­ren Absich­ten des Staats­strei­ches zu ver­schlei­ern und die Zer­stö­rer als Ret­ter vor einer dro­hen­den Gefahr zu insze­nie­ren und die Ver­schwö­run­gen der­je­ni­gen, die den dro­hen­den Staats­streich tat­säch­lich auf­zu­hal­ten versuchen. 

Bis heu­te wer­den die als „Nacht der lan­gen Mes­ser“ bekann­ten Schlüs­sel­er­eig­nis­se auf dem Weg zur Allein­herr­schaft Hit­lers unter dem Nazi­be­griff des Röhm-Put­sches oder noch extre­mer dem der Röhm-Affä­re tra­diert, als han­de­le es sich um eine neben­säch­li­che Lie­bes­af­fä­re unter Pri­vat­per­so­nen. Tat­säch­lich wur­den am 30. Juni und 1. Juli 1934 90 Per­so­nen, die meis­ten auf Befehl des Füh­rers, hin­ge­rich­tet und die Geschich­te vom dro­hen­den Putsch nur erfun­den, um den Ter­ror als mutig ent­schlos­se­ne natio­na­le Ret­tungs­tat erschei­nen zu las­sen. Wie Jahr­zehn­te spä­ter der Ban­kier Jür­gen Pon­to von der RAF wur­de der Ex-Reichs­kanz­ler Gene­ral Kurt von Schlei­cher von fünf Per­so­nen in sei­ner Pri­vat­vil­la im Arbeits­zim­mer hin­ge­rich­tet, die hin­zu­ei­len­de Ehe­frau gleich mit. Der Minis­te­ri­al­di­ri­gent und Lei­ter der Ber­li­ner katho­li­schen Akti­on Erich Klau­se­ner wur­de mit­ten am Tag in sei­nem Dienst­zim­mer des Reichs­ver­kehr­mi­nis­te­ri­ums von hin­ten erschos­sen. Pro­pa­gan­dis­tisch wur­de die Hin­rich­tung als Selbst­mord ver­schlei­ert. Ande­re ver­lo­ren in den Räu­men der Vize­kanz­lei ihr Leben oder wur­den erst ver­haf­tet und dann im Gefäng­nis exe­ku­tiert. Drei Tage spä­ter beschloss das Kabi­nett am 3. Juli 1934 das Gesetz zur Abwehr eines Staats­not­stan­des, um den Staats­ter­ror nach­träg­lich zu legi­ti­mie­ren. Von den pro­fes­sio­nel­len Orga­nen der Rechts­pfle­ge, ins­be­son­de­re den Rich­tern, die bei den Nürn­ber­ger Pro­zes­sen so vehe­ment das Rück­wir­kungs­ver­bot im Mun­de führ­ten, war nichts zu hören.

Das Erstaun­li­che an die­ser öffent­li­chen Ver­schwö­rung gegen das Recht sind nicht die poli­ti­schen Mor­de als sol­che, die hat es in der Wei­ma­rer Repu­blik von Anfang an gege­ben. Das Bemer­kens­wer­te ist die Selbst­ver­ständ­lich­keit, mit der am hell­lich­ten Tag in Regie­rungs­ge­bäu­den, Dienst­zim­mern, öffent­li­chen Anstal­ten und Pri­vat­vil­len oder ein­fach auf der Stra­ße nach Belie­ben Men­schen hin­ge­rich­tet wer­den. Die zen­tra­le Aus­sa­ge des Ter­rors: es gibt kei­ne Räu­me mehr, in denen man sich unbe­schwert und angst­frei auf­hal­ten kann. Es kann jeden über­all tref­fen. Das so über­aus erstaun­li­che an die­ser Akti­on ist das Aus­maß an Gleich­gül­tig­keit, auf die die­ser mas­si­ve Angriff auf jeg­li­che Tra­di­ti­on zivi­li­sier­ten Zusam­men­le­bens trifft. 

Die für Pro­pa­gan­da emp­fäng­li­chen sind vom ent­schlos­se­nen Füh­rer begeis­tert, die meis­ten ande­ren blei­ben pas­siv, von Empö­rung wird nur in katho­li­schen Milieus und klei­nen Tei­len der alten preu­ßi­schen Mili­tär­eli­te berich­tet. Arthur Koest­ler hat bezo­gen auf die Fol­gen der Infla­ti­on vom Hexen­sab­bat gespro­chen, wenn ehr­ba­re Haus­frau­en sich pro­sti­tu­ie­ren müs­sen, um die Kin­der durch zu brin­gen. Sebas­ti­an Haff­ner war Zeu­ge, wie die alt­ehr­wür­di­ge Insti­tu­ti­on des Ber­li­ner Kam­mer­ge­richts laut­los in sich zusam­men­fiel, „des­sen Räte sich 150 Jah­re frü­her von Fried­rich dem Gro­ßen lie­ber hät­ten ein­sper­ren las­sen, als daß sich auf könig­li­che Kabi­netts­or­der hin ein Urteil änder­ten, das sie für rich­tig hiel­ten“ und Han­nah Are­ndt hat vom Ende jeder Tra­di­ti­on, jeder Gewohn­heit, vom Vaku­um gespro­chen, dem der Nazis­mus sei­ne Ent­ste­hung ver­dan­ke, wobei Deutsch­land nur der Vor­rei­ter einer Kri­sen­er­schei­nung sei, die den euro­päi­schen „Wes­ten“ ins­ge­samt erfasst habe.

Einen der mar­kan­ten Unter­schie­de zwi­schen alter und neu­er Welt beleuch­tet dabei der Fall Lit­ten: Hans Lit­ten, ein jun­ger enga­gier­ter Anwalt, ver­tei­dig­te im Ber­lin der Stra­ßen­kämp­fe für die Rote Hil­fe lin­ke Pro­le­ta­ri­er. Er wur­de als einer der ers­ten am 28. Febru­ar 1933 früh mor­gens zuhau­se abge­holt und in „Schutz­haft“ genom­men. Sein Ver­ge­hen: er hat­te in einem der Pro­zes­se Hit­ler in den Zeu­gen­stand geholt und ihn mit geziel­ten Fra­gen aus der Fas­sung gebracht. Lit­ten stamm­te aus einer gut­bür­ger­li­chen Fami­lie, die Mut­ter kam aus einer schwä­bi­schen Pas­to­ren- und Gelehr­ten­fa­mi­lie, der wil­hel­mi­nisch gepräg­te Vater war als Ordi­na­ri­us der Juris­pru­denz Dekan, zeit­wei­se Rek­tor der Uni­ver­si­tät Königs­berg und wie man heu­te sagen wür­de, gut ver­netzt. Die Mut­ter setz­te nach der Ver­haf­tung Him­mel und Höl­le in Bewe­gung, um ihren Sohn aus dem KZ her­aus­zu­ho­len, stieß damit in den deut­schen groß­bür­ger­li­chen Krei­sen aber weit­ge­hend auf Gleich­gül­tig­keit und Ableh­nung. Damit wür­de man sich nicht die Fin­ger schmut­zig machen. Es gelang ihr nicht, ihren Sohn frei­zu­be­kom­men. Hans Lit­ten hat­te nach vie­len Miss­hand­lun­gen und Fol­tern kei­ne Kraft mehr und brach­te sich 1938 im KZ Dach­au um. Das Buch, das die Mut­ter über ihre Erfah­run­gen schrieb, lan­de­te auch auf dem Nacht­tisch von Ele­a­n­or Roo­se­velt, die nicht nur in ihrer regel­mä­ßi­gen Kolum­ne den ame­ri­ka­ni­schen Lands­leu­ten Irm­gard Lit­ten als Para­de­bei­spiel poli­ti­scher Tugend vor­stell­te, son­dern auch das Vor­wort für eine ame­ri­ka­ni­sche Aus­ga­be schrieb. Im Unter­schied zur fran­zö­si­schen hat­te die ame­ri­ka­ni­sche Revo­lu­ti­on die seit Beginn der poli­ti­schen Phi­lo­so­phie gül­ti­ge Dif­fe­renz zwi­schen dem gerech­ten König und dem Tyran­nen ad acta gelegt und jede Form von Herr­schaft, an der die Bür­ger nicht betei­ligt sind, als Tyran­nei abqua­li­fi­ziert. Dadurch bekam das Wort Repu­blik einen ver­schwö­re­ri­schen Sinn, den es in der Auf­klä­rung so nicht hat­te. Are­ndt ver­wies auf Kant, der noch ganz klas­sisch eine mon­ar­chi­sche Repu­blik von der Tyran­nei unter­schied, wäh­rend sie die Groß­ar­tig­keit der ame­ri­ka­ni­schen Unab­hän­gig­keits­er­klä­rung („we hold…“) an der Ver­schwö­rung fest­mach­te: „Aber noch bevor die­ser neue Wort­sinn sich all­ge­mein durch­ge­setzt hat, trat das neue repu­bli­ka­ni­sche Prin­zip deut­lich in Erschei­nung. In der Unab­hän­gig­keits­er­klä­rung fin­den wir es in dem fei­er­li­chen Schluss­satz, ich wel­chem die Unter­zeich­ner »sich gegen­sei­tig ver­pflich­ten«, mit Leben, Gut und Ehre für­ein­an­der ein­zu­ste­hen.“xvii

Wie die Unge­heu­er­lich­keit der Taten traf auch das aus Ame­ri­ka nach Kon­ti­nen­tal­eu­ro­pa zurück gekehr­te Kon­strukt der Ver­schwö­rung als ver­ant­wort­ba­res gemein­schaft­li­ches Han­deln in Deutsch­land auf eine jün­ge­re kon­ti­nen­ta­le öffent­li­che Mei­nung, die dafür nicht vor­be­rei­tet schien, und damit weit­ge­hend auf Unver­ständ­nis. Eine Ver­schwö­rung liegt im Grenz­be­reich zwi­schen Recht, Macht und Poli­tik - in einer twi­light zone - sie zer­setzt das Recht von innen her­aus eben­so, wie sie es aller­erst von außen stif­tet, ver­weist damit auf einen Bereich inner-, wie außer­halb, der den klas­si­schen Rah­men meta­phy­si­scher Begrün­dungs­on­to­lo­gien beun­ru­higt. In der moder­nen west­li­chen Ord­nung eines libe­ra­len Rechts­staa­tes mit sei­ner kon­sti­tu­ti­ven Tren­nung von Staat und Gesell­schaft, erscheint das Recht als Sache des Staa­tes. Rich­ter sind dar­in Funk­tio­nä­re des Staa­tes und nicht Reprä­sen­tan­ten der Bür­ger. Das gesell­schaft­li­che Indi­vi­du­um ver­steht sich als pas­si­ver Kon­su­ment recht­li­cher Garan­tien, die es von ande­ren bean­sprucht, fühlt sich aber als Pri­vat­mensch weder für Recht­set­zung noch für Rechts­wah­rung zustän­dig. Das Wort vom „recht­schaf­fe­nen“ Bür­ger ist ihm fremd gewor­den. Das man auch für das ver­ant­wort­lich ist, was man nicht tut, aber hät­te tun kön­nen, emp­fin­det das Indi­vi­du­um als Zumu­tung, eine moder­ne Tra­di­ti­on, die bis heu­te dafür sorgt, dass die Zahl der­je­ni­gen, die sich einer Ver­schwö­rung gegen die Zivi­li­sa­ti­on ent­ge­gen­stel­len, über­schau­bar bleibt. Die alte euro­päi­sche Tra­di­ti­on einer Ver­schwö­rung für die Zivi­li­sa­ti­on schien in Ver­ges­sen­heit gera­ten zu sein.

Zudem gab es eine Rei­he von hand­fes­ten Grün­den, die einen unmit­tel­ba­ren juris­ti­schen Erfolg der Ver­schwö­rung gegen die Zivi­li­sa­ti­on im Rah­men der Nürn­ber­ger Pro­zes­se auf­scho­ben. Der Begriff Ver­schwö­rung infi­ziert sowohl die Vor­stel­lung eines sou­ve­rä­nen Staa­tes wie den von Natur- oder Men­schen­rech­ten. Das Urtei­len bekommt neben dem juris­ti­schen und reli­giö­sen Aspekt einen poli­ti­schen, der außer Gebrauch war. Mit der von Ber­nays erar­bei­ten Pro­zess­stra­te­gie muss­ten nicht nur inner­halb der ame­ri­ka­ni­schen Admi­nis­tra­ti­on, son­dern auch inner­halb der Alli­ier­ten Kom­pro­mis­se ein­ge­gan­gen wer­den, was dem Kon­zept der Ver­schwö­rung sei­ne poli­ti­sche Spit­ze abge­bro­chen hat. Will man die Nazi-Bar­ba­rei als Ver­schwö­rung gegen die Zivi­li­sa­ti­on ankla­gen und ver­ur­tei­len, kann das nur als Ver­schwö­rung für die Zivi­li­sa­ti­on gelin­gen, was Gemein­sam­kei­ten des poli­ti­schen Han­delns vor­aus­setzt, die de fac­to nicht vor­han­den waren. Frank­reich hat­te mit der fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on das Dreh­buch für den ver­spä­te­ten deut­schen Robespierre/Napoleon gelie­fert und war mit den poli­ti­schen Kon­se­quen­zen sei­ner Sou­ve­rä­ni­täts Tra­di­ti­on noch nicht zu Ran­de gekom­men. Sta­lin konn­te zwar min­des­tens eben­so gut wie Hit­ler Lega­li­tät vor­spie­len, hat­te aber kei­ne haus­ei­ge­ne Rechts­tra­di­ti­on, auf die er hät­te zurück­grei­fen kön­nen. Was noch schwe­rer wieg­te: er hät­te selbst wegen ent­spre­chen­der Ver­schwö­rung gegen die Zivi­li­sa­ti­on auf der Ankla­ge­bank sit­zen müs­sen. Die Eng­län­der wie­der­um hat­ten genug damit zu tun, ihr Impe­ri­um in ein Com­mon­wealth umzu­wan­deln. Von einer trag­fä­hi­gen gemein­sa­men Vor­stel­lung, wie zu zivi­li­sier­ten Zustän­den zurück­zu­keh­ren sei, konn­te nicht die Rede sein.

Durch das stra­te­gi­sche Inter­es­se der US-Admi­nis­tra­ti­on, die Äch­tung des Angriffs­krie­ges, wor­über man sich 1928 im Kel­logg-Bri­and-Pakt nur ver­ein­bart hat­te, sta­tua­risch im Völ­ker­recht zu ver­an­kern, geriet das ent­schei­den­de­re poli­ti­sche Moment der Ver­schwö­rung aus dem Fokus. Mit dem Stich­tag 1. Sep­tem­ber 1939 wur­den alle Gescheh­nis­se davor aus­ge­klam­mert, die eigent­li­che Ver­schwö­rung gegen das Recht in der „Nacht der lan­gen Mes­ser“ eben­so wie die gemein­schaft­li­che Opfe­rung der Tsche­cho­slo­wa­kei. Mar­tha Gell­horn, die ame­ri­ka­ni­sche Aus­lands­kor­re­spon­den­tin, war sei­ner­zeit Zeu­gin der letz­ten Fahrt des Prä­si­den­ten Edvard Beneš durch Prag, bevor er ins Exil ging und schrieb lan­ge vor Kriegs­aus­bruch vom dro­hen­den Ende der Demo­kra­tien in ganz Euro­pa.xviii

Mensch­lich ver­ständ­lich aber poli­tisch unge­nü­gend, fürch­te­ten sich auch die Rich­ter vor dem Unheim­li­chen und beweg­ten sich lie­ber auf ver­trau­tem Gelän­de. In Nürn­berg wur­de wesent­lich wegen Ver­schwö­rung zu einem Angriffs­krieg ver­han­delt, was, wie Are­ndt im Epi­log zum Eich­mann Pro­zess zu Recht monier­te, gar kei­nen Anspruch auf einen Prä­ze­denz­fall gel­tend machen konn­te, denn Angriffs­krie­ge hat es gege­ben, seit es Men­schen gibt. Wirk­lich neu war die indus­tri­el­le Ent­sor­gung von Men­schen, denen das ein­zi­ge Men­schen­recht - das Recht, Rech­te zu haben - aberkannt und damit das Mensch­sein selbst ent­zo­gen wor­den war. Es ist mehr­fach dar­auf hin­ge­wie­sen wor­den, dass die Nazis pein­lich dar­auf geach­tet haben, den Juden sämt­li­che Rech­te abzu­er­ken­nen, bevor sie in die Gas­kam­mern geschickt wur­den. Was gesche­hen ist, konn­te nur in einem gesetz­lo­sen Raum gesche­hen, was Täter wie Opfer glei­cher­ma­ßen betrifft. 

Durch die Fokus­sie­rung auf den Angriffs­krieg waren aus der jus­ti­zi­el­len Auf­ar­bei­tung nicht nur alle Hand­lun­gen inner­halb Deutsch­lands vor Kriegs­be­ginn her­aus­ge­zo­gen. Dem Gerichts­hof, des­sen zen­tra­le Auf­ga­be es hät­te sein müs­sen, die ange­grif­fe­ne Zivi­li­sa­ti­on, das Gesetz selbst wie­der ein­zu­rich­ten, war damit sei­ne wich­tigs­te Legi­ti­ma­ti­on genom­men.xix Die Aus­klam­me­rung der Ver­schwö­rung gegen das Recht öff­ne­te der besieg­ten deut­schen Eli­te Tür und Tor, den Pro­zess als Sie­ger­jus­tiz zu brand­mar­ken und mit Ver­let­zung grund­le­gen­der Rechts­prin­zi­pi­en wie Nul­lum cri­men, nulla poe­na sine lege zu dele­gi­ti­mie­ren, was, hät­te man die Ver­schwö­rung gegen das Recht ins Zen­trum gesellt, weit­aus schwie­ri­ger gewe­sen wäre. Von Sie­ger­jus­tiz lässt sich sinn­voll nur spre­chen, wenn man eine zuvor intak­te Besieg­ten­jus­tiz vor­aus­setzt. Wer sich dage­gen schon bei der Her­aus­for­de­rung der Rechts­wah­rung hin­ter die Büsche geschla­gen hat, kann schlech­ter­dings kei­ne Rechts­an­sprü­che gegen ande­re gel­tend machen.

Robert M.W. Kemp­ner, einer der remi­grier­ten US-Anklä­ger, der als Chef­jus­ti­zi­ar im preu­ßi­schen Innen­mi­nis­te­ri­um 1930 in einer Denk­schrift vor der dro­hen­den Ver­schwö­rung der Nazi-Cli­que gewarnt hat­te (erst seit ein paar Jah­ren wird wie­der öffent­lich an ihn erin­nert), hat einen die­ser Momen­te prä­zi­se erfasst. In der Nacht der lan­gen Mes­ser wur­de auch sein Chef, Minis­te­ri­al­di­ri­gent Erich Klau­se­ner am 30. Juni 1934 in sei­nem Dienst­zim­mer von SS Mann Kurt Gil­disch auf Anwei­sung von Heyd­rich erschos­sen. Der Mör­der wur­de weni­ge Tage spä­ter auf­grund sei­ner Leis­tun­gen zum SS-Sturm­bann­füh­rer beför­dert. Dazu Robert M.W. Kemp­ner: „Zu der Zeit, über die wir jetzt spre­chen, gab es noch nicht so vie­le Lei­chen, min­des­tens aber beim Röhm-Putsch hät­ten sie eigent­lich etwas mer­ken müs­sen, gera­de wegen der Ermor­dung von bür­ger­li­chen Leu­ten. Die gan­ze Ver­wal­tung hät­te ja auf­ste­hen müs­sen, als Klau­se­ner ermor­det wur­de. Die gan­ze Gene­ra­li­tät hät­te auf­ste­hen müs­sen, als Schlei­cher ermor­det wur­de. Die haben gar nicht dar­an gedacht. Es war eine Nie­der­la­ge in ganz gro­ßem Maße, an der die Bür­ger­schaft, teil­wei­se auch die Arbei­ter­schaft betei­ligt war, die gan­ze Lin­ke betei­ligt war.“xx Nur einen Monat nach dem Büromord for­mu­lier­te Carl Schmitt am 1. August 1934 in der Deut­schen Juris­ten-Zei­tung: “Der Füh­rer schützt das Recht vor dem schlimms­ten Miss­brauch, wenn er im Augen­blick der Gefahr kraft sei­nes Füh­rer­tums als obers­ter Gerichts­herr unmit­tel­bar Recht schafft.“ Schmitts theo­lo­gisch inspi­rier­te Sou­ve­rä­ni­täts­ob­ses­si­on dekla­riert eine bloß insze­nier­te Ver­schwö­rung zum Aus­nah­me­zu­stand, um den Füh­rer auf eine mosai­sche Posi­ti­on zu hie­ven, von der aus das neue Gesetz ver­kün­det wer­den kann. In Kemp­ners Wahr­neh­mung hin­ge­gen wird ange­sichts einer tat­säch­li­chen Gefahr nach dem Ver­bleib der Gefähr­ten gefragt, die in der Lage sind, die Her­aus­for­de­rung einer Ver­schwö­rung gegen das Recht zu beant­wor­ten. Die bei­den Wahr­neh­mun­gen beleuch­ten nicht nur den Unter­schied zwi­schen Sou­ve­rä­ni­tät und Auto­ri­tät, son­dern en pas­sant auch den zwi­schen Alter und Neu­er Welt und damit den zwi­schen Demo­kra­tie und Repu­blik. „Es hät­te die gan­ze Ver­wal­tung auf­ste­hen müs­sen“ benennt den Kern des deut­schen Pro­blems, an dem sich - aller Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung, „Nie wie­der“- Beschwö­rung und Inte­gra­ti­on in den Wes­ten zum Trotz - nicht das Gerings­te geän­dert hat.xxi

Die Verschwörung als Instituierung des Rechts

In den aller­meis­ten Dar­stel­lun­gen zum Nürn­ber­ger Pro­zess kann man bis heu­te in schö­ner Regel­mä­ßig­keit den Unsinn lesen, dass es sich bei Ver­schwö­rung um einen spe­zi­el­len Straf­tat­be­stand aus dem angel­säch­si­schen Recht han­deln wür­de, den es auf dem Kon­ti­nent nicht gege­ben hät­te, was zum einen auf die Bil­dungs­fer­ne, zum ande­ren aber auch auf die Bedeu­tung eines kol­lek­ti­ven Gedächt­nis­ses hinweist.

Im frü­hen Mit­tel­al­ter bezeich­ne­te Ver­schwö­rung (con­ju­ra­tio) einen öffent­li­chen gemein­schaft­li­chen, oft in regel­mä­ßi­gen Abstän­den wie­der­hol­ten Akt, in dem sich die Voll­bür­ger einer Stadt gegen­sei­tig ver­spra­chen, sich als poli­tisch Glei­che anzu­er­ken­nen, Frei­heit und Frie­den ihrer Stadt zu hüten und die Gewalt vor die Stadt­mau­ern zu ver­ban­nen. Der ritua­li­sier­te Akt des acting in con­cert schaff­te das Recht zwi­schen einer durch die­sen Akt erst ent­stan­de­nen Rechts­ge­mein­schaft, er setz­te Recht und Ver­schwö­rer gleich­ur­sprüng­lich als Rechts­stif­ter, Rechts­wah­rer und Rechts­ga­ran­ten ein. Die gemein­schaft­li­che Hand­lung selbst stell­te damit den maß­geb­li­chen Gel­tungs­grund des Rechts dar, was das ver­schwo­re­ne, poli­tisch gewill­kür­te Recht von Vor­schrift oder Gebot des Herrn merk­lich unter­schei­det. Max Weber hat die­se Durch­bre­chung des Her­ren­rechts als der „Sache nach revo­lu­tio­nä­re Neue­rung der mit­tel­al­ter­li­chen-okzi­den­ta­len gegen­über allen ande­ren Städ­ten“ bezeich­net, „eine Kon­se­quenz der in der ger­ma­ni­schen Gerichts­ver­fas­sung noch nicht abge­stor­be­nen Auf­fas­sung jedes Rechts­ge­nos­sen als eines ‚Ding­ge­nos­sen‘ und das heißt eben: als eines akti­ven Teil­ha­bers an der Ding­ge­mein­de, in wel­cher [er] das dem Bür­ger zukom­men­de Recht als Urtei­ler im Gericht selbst mit­schafft. […] Dies Recht fehl­te den Gerichts­ein­ge­ses­se­nen in dem weit­aus größ­ten Teil der Städ­te der gan­zen Welt.“xxii

Mit der ver­schwör­ten Ord­nung ent­stand neben den auch anders­wo ver­trau­ten Bin­dun­gen des Hau­ses und der Sippe/Verwandtschaft eine neue, an den befrie­de­ten Frei­heits-Spiel-Raum der Stadt gekop­pel­te Bin­dung. Das Über­gangs­ri­tu­al der gegen­sei­ti­gen Ver­schwö­rung ver­setz­te Indi­vi­du­en zu Bür­gern, eine Iden­ti­täts­ver­än­de­rung, die auch Max Weber auf­ge­fal­len war. „Sich der­art mit­ein­an­der ‚Ver­brü­dern‘ aber heißt, […] dass man etwas qua­li­ta­tiv Ande­res ‚wird‘ als bis­her […]. Die Betei­lig­ten müs­sen eine ande­re ‚See­le‘ in sich ein­zie­hen las­sen.“xxiii Durch das regel­mä­ßig wie­der­hol­te Ritu­al ent­stan­den nicht nur Rechts­ver­hält­nis­se, die mit der Zeit in Gewohn­heit ein­si­cker­ten und Bin­dun­gen ver­ste­tig­ten, durch die Wie­der­ho­lung ent­stand auch der gemein­schaft­lich geteil­te Sinn für die Gefahr, denen ein Stadt­frie­den stets aus­ge­setzt ist, wenn sich Macht­struk­tu­ren mono­po­li­sie­ren und abspal­ten und Kon­flik­te in Gewalt umschla­gen. Mit dem Schwör­brief als fest­ge­hal­te­nem Ergeb­nis der Ver­schwö­rung ent­stand eine wahr­nehm­ba­re, äuße­re Sache, die von allen Ver­schwö­rern geteilt wur­de und, je län­ger sie hielt, des­to sakra­li­sier­te­ren Cha­rak­ter ange­nom­men hat - das „gute alte Recht“. Eine der sel­te­nen aka­de­mi­schen Abhand­lun­gen über den Schwör­tag erwähnt eine Beschrei­bung von 1719, wor­in der „Geschwo­re­ne Brief“ als „unser lobli­chet Statt Zürich vor­nehms­te Fun­da­men­tal­ge­fäß“ bezeich­net wird.xxiv Je mehr Gene­ra­tio­nen der Schwör­brief ein fried­li­ches Zusam­men­le­ben gewähr­leis­tet hat­te, des­to grö­ßer wur­de die Scheu, ihn, obwohl er der Will­kür ent­sprun­gen war, will­kür­lich zu ändern, ein The­ma, das auch Tho­mas Jef­fer­son lan­ge umtrieb. Wenn man einer Gene­ra­ti­on von Ein­wan­de­rern die Frei­heit zubil­ligt, sich zu Ame­ri­ka­nern zu ver­schwö­ren und die­sen Akt in einer schrift­li­chen Ver­fas­sung fest­zu­hal­ten, mit wel­chem Recht könn­te man dann einer fol­gen­den Gene­ra­ti­on die glei­che Frei­heit untersagen? 

Mit dem Ein­drin­gen und Ver­dich­ten der Herr­schaft ver­schwin­det die Form der Gegen­sei­tig­keit und damit auch jenes spe­zi­el­le Rechts­we­sen, das nur der Okzi­dent her­vor­ge­bracht hat. Von den Beherrsch­ten wird der Geset­zes­ge­hor­sam erwar­tet, wäh­rend die Herr­schen­den behaup­ten, jeden nach Rechts und Gesetz gleich zu behan­deln. Gegen­über dem Blend­werk der „Grund­rech­te“ wird das Recht in die­ser Rechts­form zum Privileg.

Über­gangs­ri­tua­le wer­den dort insti­tu­iert, wo Gefahr und Fol­gen eines Schei­terns die­ser schwie­ri­gen Pas­sa­ge beson­ders groß sind, das sind im Bio­gra­fi­schen die Über­gan­ge zwi­schen Jun­gen und Mann und der zwi­schen Mäd­chen und Frau und im Poli­ti­schen der zwi­schen Indi­vi­du­um und Bür­ger. Die Phä­no­me­ne fort­schrei­ten­der Infan­ti­li­sie­rung, denen wir über­all im Wes­ten begeg­nen, deu­ten daher auf etwas hin, das ver­lo­ren gegan­gen scheint.

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Publi­ziert auf: Eine zwei­tei­li­ge Fas­sung erschien auf Glob­kult: Teil 1: Die Ver­schwö­rung, Teil 2: Die remi­grier­te Verschwörung


i  Das Latei­ni­sche Reich. In: Tumult. Schrif­ten zur Ver­kehrs­wis­sen­schaft 15 (1991), S. 92–122

ii Fritz Fischer: Zum Pro­blem der Kon­ti­nui­tät der deut­schen Geschich­te von Bis­marck zu Hit­ler, in: Bra­cher et al. (Hg): Natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Dik­ta­tur 1933 - 1945 , Eine Bilanz, Bonn 1986, S. 770

iii ebd. S. 120

iv man muss an die­ser Stel­le dar­auf hin­wei­sen, dass Isra­el Gefahr läuft, in einer ähn­li­chen Sack­gas­se zu lan­den. Die ein­zi­ge sinn­vol­le poli­ti­sche Initia­ti­ve nach dem von Ara­fat pro­vo­zier­ten Schei­tern der israe­lisch-paläs­ti­nen­si­schen Ver­hand­lun­gen kam dazu von Donald Trump, der ver­such­te, den theo­kra­tisch ver­fass­ten Iran zu iso­lie­ren und Isra­el in poten­zi­el­le Alli­an­zen mit ande­ren ara­bi­schen Staa­ten einzubinden

v vgl dazu vom Autor: Geset­zung und Bewe­gung, https://​www​.han​nah​-are​ndt​.de/​2​0​1​9​/​0​5​/​g​e​s​e​t​z​u​n​g​-​u​n​d​-​b​e​w​e​g​u​ng/,

vi vgl.: Mar­ga­ret MacMil­lan: Die Frie­dens­ma­cher, Wie der Ver­sailler Ver­trag die Welt ver­än­der­te, Ber­lin, 2018 und aus weni­ger illu­sio­nä­rer Per­spek­ti­ve: Robert Gerwarth: Die Besieg­ten. Das blu­ti­ge Erbe des ers­ten Welt­kriegs, Mün­chen 2016

vii Das Urteil des Inter­na­tio­na­len Mili­tär­ge­richts­ho­fes in Nürn­berg erwähn­te in sei­ner Begrün­dung aus­drück­lich Punkt 1 des Par­tei­pro­gramms, das Adolf Hit­ler am 24. Febru­ar 1920 in Mün­chen ver­kün­de­te: „Wir for­dern den Zusam­men­schluss aller Deut­schen auf Grund des Selbst­be­stim­mungs­rech­tes der Völ­ker zu einem Groß­deutsch­land.“, in: Das Urteil von Nürn­berg, Mün­chen 2005, S. 22

viii Es hat auch in der Hoch­pha­se der Coro­na-Mas­sen­hys­te­rie nicht viel gefehlt und man hät­te die Unge­impf­ten in Lagern konzentriert.

ix vgl. Han­nah Are­ndt: Ele­men­te und Ursprün­ge tota­ler Herr­schaft, Frank­furt a.M. 1986, S. 422

x ebd. S. 446

xi  Heu­te ent­le­di­gen sich soge­nann­te „Flücht­lin­ge“ ganz bewusst ihrer Staats­bür­ger­schaft, weil sie längst gelernt haben, dass sie aus der Posi­ti­on der Vogel­frei­en der zer­fal­le­nen­den Auf­nah­me­ge­sell­schaft am erfolg­reichs­ten ihre Maß­stä­be auf­zwin­gen kön­nen. Selbst ein gro­ßer Teil der Rich­ter demons­triert mit der Ver­wei­ge­rung einer ange­mes­se­nen recht­li­chen Sank­tio­nie­rung den Unwil­len, an die­sem Zustand etwas zu ändern. Schon die­se Kon­stel­la­ti­on, die inner­halb kur­zer Zeit eine zivi­li­sier­te Rechts­ge­mein­schaft in eine Bar­ba­rei trans­for­miert, führt das Gere­de von der Inte­gra­ti­on ad absur­dum. Einen Inte­gra­ti­ons­sog kön­nen nur Gemein­we­sen erzeu­gen, deren Gemein­schaft aus der Sicht der Neu­an­kömm­lin­ge erstre­bens­wert erscheint. Mit Deut­schen, die nach dem ver­lo­re­nen Krieg den Selbst­hass der Juden kul­ti­viert haben, ist das schwer vorstellbar.

xii nicht zufäl­lig erschien 2023 das Buch des Alt­his­to­ri­kers Micha­el Som­mer unter dem Titel: Volks­tri­bun - Die Ver­füh­rung der Mas­sen und der Unter­gang der römi­schen Republik

xiii Ele­men­te und Ursprün­ge, S. 434

xiv Brief aus Frei­burg am 24. Mai 1952 an Blü­cher: „Mit der trü­ge­ri­schen Sicher­heit hast Du mehr als recht. Hier auch, alles nor­ma­li­siert sich. An Jas­pers war das schon so deut­lich. Wie­der der alte ver­stun­ke­ne Liberalismus.“

xv Den Euphe­mis­mus vom „Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit“, der sich im deut­schen Sprach­ge­brauch bis heu­te ein­ge­bür­gert hat, nann­te Are­ndt „wahr­haf­tig das Under­state­ment des Jahrhunderts“.

xvi Man wird auch die Fra­ge stel­len müs­sen, ob das, was aus den ent­schwärz­ten Pro­to­kol­len von RKI, Coro­na-Exper­ten­rat und Kri­sen­stab zu ent­neh­men ist, unter die Kate­go­rie der Ver­schwö­rung fällt.

xvii Han­nah Are­ndt: Über Revo­lu­ti­on, Mün­chen 1994, S. 167

xviii Nach­ruf auf eine Demo­kra­tie, in: Der Blick von unten, Repor­ta­gen 1931 - 1959, erschie­nen in den USA im Dezem­ber 1938

xix Are­ndt ver­wies auf den Pira­ten als hos­tis huma­ni gene­ris, der als Feind aller ein­zig als schlüs­si­ger Prä­ze­denz­fall für ein Ver­bre­chen gegen die Mensch­heit her­an­ge­zo­gen wer­den kön­ne, beton­te aber zugleich die Schwie­rig­keit, dies auf Eich­mann anzu­wen­den, der sich an die sei­ner­zeit gel­ten­den Vor­schrif­ten hielt; Eich­mann in Jeru­sa­lem, Mün­chen 1986, S. 310

xx Robert M.W. Kemp­ner: Anklä­ger einer Epo­che, Frank­furt a.M. 1983, S. 92

xxi Man muss dar­an erin­nern, dass der ers­te offe­ne Ver­fas­sungs­bruch der immer noch gefei­er­ten Alt­kanz­le­rin Mer­kel weit vor Coro­na zwar einen Auf­schrei unter der über­schau­ba­ren Sze­ne der Staats­recht­ler aus­lös­te, - von einem „Tsu­na­mi für die Rechts­ord­nung der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land“ war die Rede - jedoch weder im Par­la­ment noch in der poli­ti­schen Öffent­lich­keit irgend­ei­ne Reak­ti­on her­vor­rief. Mitt­ler­wei­le ist das Regie­ren per Maß­nah­men­de­kret im Aus­nah­me­zu­stand die neue Normalität.

xxii Max Weber: Wirt­schaft und Gesell­schaft, Kap. IX, Herr­schafts­so­zio­lo­gie, §2 Die Stadt des Okzi­dents, Frank­furt 2005, S. 950

xxiii ebd., Kap. VII. Rechts­so­zio­lo­gie, § 2. Die For­men der Begrün­dung sub­jek­ti­ver Rech­te, S. 513, der Satz erscheint in einem Kon­text, in dem Weber zwi­schen „Sta­tus“ - Kon­trak­ten und „Zweck“ - Kon­trak­ten“ unter­schei­det; den Hin­weis auf die­se Stel­le ver­dan­ke ich Chris­ti­an Mei­er (Hg.) Die okzi­den­ta­le Stadt nach Max Weber; es ist nicht unwich­tig zu erwäh­nen, dass die dort ver­sam­mel­ten Auf­sät­ze aus Vor­trä­gen des Bochu­mer His­to­ri­ker­ta­ges von Sep­tem­ber 1990 her­vor­ge­gan­gen sind, also dem Zeit­punkt, an dem die Grü­nen als Reprä­sen­tan­ten einer Ver­wei­ge­rungs-Gene­ra­ti­on mit dem Wahl­pla­kat Furo­re mach­ten: Alle reden von Deutsch­land - Wir reden vom Wetter.

xxiv Anne Chris­ti­na May: Schwör­ta­ge in der frü­hen Neu­zeit, Stutt­gart 2019, S. 52