„…dass es außerhalb des Versprechens keine ‚Moralisiererei‘ geben darf“
Hannah Arendt
Im August 1945 - nicht einmal vier Monate nach der Kapitulation des Dritten Reiches - schickte der damals schon berühmte Pariser Philosoph Alexandre Kojève ein Memorandum an den Chef der provisorischen Regierung Frankreichs, Charles de Gaulle. Kaum war das auf tausend Jahre angelegte germanische Reich nach nur wenigen Jahren in einer gigantischen Katastrophe zerplatzt, empfahl Kojève seinem General die Errichtung eines neuen lateinischen Reiches, bestehend aus den katholischen Ländern Spanien, Italien und Frankreich, das mit der Grande Nation als primus inter pares das germanische Reich in die Rolle des unterworfenen Knechts zwingen sollte.
Der Exil-Russe und Hegel-Kenner Kojève war nicht irgendwer. Kaum einer der französischen Mandarins, die in der Nachkriegszeit Rang und Namen gewannen, war nicht in seinen Vorlesungen zu Hegels Phänomenologie des Geistes, die er von 1933-39 an einer Pariser Hochschule hielt. In einem Zeitungsbeitrag von 2018 erinnerte Wolf Lepenies zu Kojèves 50sten Todestag an einen Satz, der deutlich machte, wie sich der um Selbstbewusstsein nicht verlegene Kojève selbst sah: „De Gaulle entscheidet über die Atombombe und Russland. Ich entscheide über alles andere.“
In Frankreich wurde der Text des Memorandums erst 1990 veröffentlicht, eine deutsche Übersetzung erschien 1991i. Dass es sich dabei nicht um weltfremde Ideen eines Philosophen handelte, mögen ein paar wenige Hinweise verdeutlichen. Stellvertretend für viele deutsche Nachkriegsstimmen sei an Peter Glotz erinnert, der angesichts der drohenden deutschen Wiedervereinigung weniger aus Einsicht, denn aus Pflege seines anti-deutschen, anti-nationalen Affekts an die Tradition des Reiches anknüpfen wollte, um den Irrweg des Nationalstaats zu vermeiden. Außer dem „Anti-“, mit dem mittlerweile eine ganze westdeutsche Generation versucht, sich aus der politischen Verantwortung zu stehlen, hatte er allerdings nicht viel anzubieten. Am 15. März 2013 erschien in der italienischen Tageszeitung La Repubblica ein Text von Giorgio Agamben, der mit einer apokalyptischen Warnung nachdrücklich an Kojèves Vorstellung vom lateinischen Reich erinnerte, um der drohenden deutschen Vormacht in Europa etwas entgegen zu setzen. Thomas Assheuer deutete daraufhin in DIE ZEIT Agambens Pamphlet als finalen Weckruf: „Entweder Europa schreibt seine Verfassung um und gründet ein ‚lateinisches Reich‘ unter Führung Frankreichs. Oder es zerfällt“.
Die wenigen Hinweise müssen genügen, um darauf aufmerksam zu machen, dass die Frage der politischen Ordnung Europas keineswegs beantwortet ist. Die Identifikation des Nationalsozialismus als „deutsches Problem“ verschleiert nur die westliche Dimension der Krise. Die nationale Entpolitisierung und europäische Zentralisierung einst nationalstaatlicher Bürokratien hat zwar den bürokratischen Sektor extrem vergrößert, dafür den nationalstaatlichen Souverän zugunsten einer Herrschaft des Niemand weiter entpolitisiert, an den fundamentalen Defiziten der politischen Ordnung aber wenig verändert. Außer den Profiteuren wird kaum jemand den Sumpf aus Korruption, Inkompetenz und maßloser Selbstüberschätzung, in dem die EU versinkt, als Leuchtturm politischer Klugheit hinstellen.
Im August 1950, nur fünf Jahre später als Kojèves Memorandum, begann Hannah Arendt mit der Niederschrift der ersten Textfragmente zur Frage „Was ist Politik“. Auch diese Texte, zahlreiche Briefwechsel und das Denktagebuch sind erst nach Ihrem Tod aus dem Nachlass veröffentlicht worden. Weil Philosophen und Theologen immer nur den Menschen dachten, so Arendts einfache wie weitreichende Antwort, orientierten sich ihre Vorstellungen einer politischen Ordnung an einem singulären Körper, dessen unterschiedliche Organe und Regungen von einem Zentrum sowohl unter Kontrolle als auch zum Ausdruck zu bringen seien. Zur entscheidenden Frage jeder politischen Ordnung, wie einer prinzipiell unendlichen Menge unterschiedlicher Meinungen ein gewaltfreier Austragungsort ihrer Differenzen einzurichten sei, hatten die Metaphysiker nicht viel zu sagen. Es könnte sich daher lohnen, eine dezidiert philosophische Perspektive, eine sich tastend davon emanzipierende politische und die tatsächliche Entwicklung mit dem Schwerpunkt auf Deutschland gegeneinander zu beleuchten.
Das Ende des Nationalstaats
Kojève wie Arendt gingen durch die Erfahrung der zwei Weltkriege davon aus, dass die Zeit der kontinentaleuropäischen Nationalstaaten vorbei sei, kamen aber aus unterschiedlichen Wegen zu dieser Einsicht und zogen gänzlich andere politische Schlussfolgerungen aus der gleichen Erfahrung. Kojève machte es an der Niederlage des Dritten Reiches und seiner Wunschvorstellung fest, dass Frankreich zukünftig auf dem Kontinent wieder die erste Geige zu spielen hätte. Dazu müsse man mit der gesamten nationalen, liberalen Tradition brechen, die blockierende Links/Rechts-Opposition überspringen, um als lateinisches Reich unter Frankreichs Führung ‚den gesamten Okzident - den lateinischen und den anderen - vor dem Ruin zu retten‘. Indem er de Gaulle als gerechten christlichen Herrscher gegen den Tyrannen Hitler positionierte, argumentierte Kojève in vertrauten Bahnen. Als Beleg für die deutschen ideengeschichtlichen Kontinuitäten führte Fritz Fischer einen Vortrag an, den Helmut von Moltke 31 Jahre zuvor im November 1914 gehalten hatte. Moltke formulierte seinerzeit durchaus ähnlich, aber mit germanischem statt lateinischem Herrschaftsanspruch: „Die romanischen Völker haben den Höhepunkt ihrer Entwicklung schon überschritten, sie können keine befruchtenden Elemente in die Weltentwicklung hineintragen. Die slawischen Völker, in erster Linie Russland, sind noch zu weit in der Kultur zurück, um die Führung der Menschheit zu übernehmen. Unter der Herrschaft der Knute würde Europa in den Zustand geistiger Barbarei zurückgeführt werden. England verfolgt nur materielle Ziele. Eine günstige Weiterentwicklung der Menschheit ist nur durch Deutschland möglich.“ii
Zwei Weltkriege später wäre eine ‚germanische Marschrichtung‘ unter deutscher Führung, selbst ohne England, für Frankreich tödlich, eine Wendung, mit der Kojève den okzidentalen Antagonismus zwischen dem lateinischen und dem germanischen wieder umkehrt. Für ihn sollte der Weltgeist ab jetzt französisch sprechen. Bei der Frage, wie die Autonomie des lateinischen Allgemeinwillens zur Geltung zu bringen sei, wie und durch wen er konkret politisch verkörpert werden könne, hielt sich Kojève bedeckt. Neben General de Gaulle tauchte nur ein weiterer Name auf, der allerdings eigens betont und somit als Präzedenzfall herangezogen werden kann. Nach dem Ende der liberalen, d.h. nationalen oder nationalistischen Periode, müsse man sich dem imperialen Problem neu stellen: „Man kommt gewissermaßen in die Zeit Gregors VII. zurück - allerdings mit dem Unterschied, dass es die Kirche nun auf der politischen Ebene nicht mehr mit einem pränationalen sondern mit einem postnationalen Reich zu tun haben wird. Und das ändert die Situation grundlegend: es erfordert von neuem eine Haltung und eine Entscheidung, die ‚total‘ sind.“iii Die Erwähnung von Gregor VII., der auch die Zuchtrute Gottes genannt und mit dem Alleinherrschaftsanspruch des Dictatus Papae bekannt wurde, in Verbindung mit dem Wort ‚total‘ lässt erahnen, dass Kojève eine französisch dominierte Herrschaft des EINEN im Sinn hatte. Von den 27 einzeln formulierten Ansprüchen des Dicatus Papae sei nur diejenige zitiert, die das Urteilen und Rechtswesen betrifft: „Dass sein Urteilsspruch von niemandem widerrufen werden darf und er selbst als einziger die Urteile aller widerrufen kann.“
Wie der feudale Fürst, der aus militär-ökonomischen Gründen mit dem Aufkommen der Artillerie irgendwann seine Krieger nicht mehr ausreichend ausstatten kann, in der Nation aufgehoben wird, müsse der Nationalstaat, um sich im Umfeld von Imperien behaupten zu können, größeren Gebilden weichen. Die auf eine klassische Nationalökonomie und -bevölkerung begrenzte Kriegsfähigkeit der Nazis hätte sich als nicht mehr ausreichend erwiesen. Auch mit stetig wachsendem Sklavenarsenal aus den eroberten Gebieten hätte Hitlers idealer Nationalstaat seine imperialen Ansprüche nicht umsetzen können und sei an seinen zentralen Widersprüchen gescheitert. Um moderne Armeen auszustatten, im Kampf um Anerkennung kriegs- und behauptungsfähig zu bleiben, müssten Nationen in größeren Reichen aufgehoben werden. Wer sich gegen Gebilde wie den sowjetischen „Imperialsozialismus“ oder den angelsächsischen „Imperialkapitalismus“ als merklich kleineres Europa behaupten wolle, könne dies nur mit einem ebenfalls imperialen Konstrukt verwandter Nationen. Deutschland, so resümierte Kojève seine geschichtliche Lektion, hätte diesen Krieg verloren, weil es ihn als Nationalstaat gewinnen wollte.iv
Während der Philosoph seiner Vorstellung von Gemeinwesen eine ökonomisch begründete hegelsche Geschichtsdialektik unterlegte, in der keine Stufe übersprungen werden kann: vom Landesherrn zur Nation, von der Nation zum Reich und vom Reich zur Menschheit, die Nation somit als ein notwendiges Durchgangsstadium angesehen wurde, das im Reich aufgehoben werden wird, konfrontierte sich Arendt weitaus intensiver den ungewohnten Erfahrungen der Zwischenkriegszeit, um zu zeigen, wie der Nationalstaat, der kein Nationalitätenstaat sein wollte, als politisches Experiment an seinen inneren Widersprüchen zerfallen ist. Kojève wie Arendt einte die Emphase auf der Fähigkeit, sich als Gemeinwesen nach den Erfahrungen neu zu konstituieren.v Am 21. April 1946 schrieb sie an Gershom Scholem: „Ich kann sie nicht daran hindern, ein Nationalist zu sein, obwohl ich auch nicht recht einsehen kann, warum sie so stolz darauf sind. Ich bin auch nicht der Meinung, dass Nationalismus tot ist. Im Gegenteil. Was tot ist, ist die Nation oder besser der Nationalstaat als Organisation von Völkern. Dies dürfte jedem Historiker, der weiß, dass die Nation von ihrer Souveränität abhängt und von der Identität von Staat, Volk und Territorium, klar sein.“
Die von einigen immer noch glorifizierten ‚Friedensmacher‘vi der Versailler Verträge nach dem Ersten Weltkrieg hätten, um ihren status quo als Siegermächte zu erhalten, nicht nur das gerade durch den Krieg gescheiterte französische Modell des Nationalstaates in den Osten exportiert, mit dem grandiosen Experiment vom Selbstbestimmungsrecht der Völkervii eine Unzahl von (kriegerischen) Konflikten angezettelt, die zum Teil bis heute andauern, sondern auch ganz ungeniert gefordert, dass die nationalen Minderheiten sich entweder assimilieren oder liquidiert werden müssten, was außer den erwünschten Nationen nicht nur die nationalen Minderheiten hervorbrachte, die gegen ihren jeweiligen Nationalstaat in Stellung zu bringen und als Kriegspfand zu nutzen waren, sondern auch eine der größten aller europäischen ‚Nationen‘ zum Vorschein brachte: die Massen von staatenlosen Flüchtlingen, die, aus jeder Rechtsgemeinschaft heraus gesetzt, außerhalb der Gesetze stehend, nicht nur die apolitische Vorstellung von individuellen Menschenrechten ad absurdum führten, sondern das Recht innerhalb wie zwischen den Nationen von innen heraus zersetzten.
Das Experiment, eine internationale Körperschaft als Garanten der Menschenrechte einzusetzen, war so schnell an den politischen Realitäten gescheitert, dass man sich nur wundern kann, wie viele die Lektion bis heute nicht verstanden haben. Mit den Juden, die niemand haben wollte, führten die Nazis der westlichen Welt die Hohlheit ihrer unveräußerlichen Menschenrechte vor. Entweder man setzte die alteuropäische Tradition fort, den Schutz des jeweiligen Landesherren zu erbitten oder man setzte seine Hoffnungen auf einen revolutionären Aufbruch, der in der Folge der Franz. Revolution mit der Koppelung von Volkssouveränität und Menschenrechten das eigentliche Modell eines Nationalstaates abgegeben hatte.
Wo aber die Nation den Staat okkupierte, zersetzte sie die gewachsenen Rechtsinstitutionen und pervertierte das Recht zur Funktion eines einigen Volkswillens: Recht ist, was dem Volke nutzt. Wer sich als nationale Minderheit weder assimilieren noch liquidieren ließ, wurde denaturalisiert und aus der Staatsbürgerschaft entlassen.viii Die Bürgerkriege, die den Ersten Weltkrieg in die Zwischenkriegszeit verlängerten, hatten Völkerwanderungen zur Folge, „wie sie Europa seit Jahrhunderten, ja seit Jahrtausenden nicht mehr gekannt hatte.“ix Es entstanden die „überflüssigen Menschen“, über deren Daseinsrecht andere entschieden.
Da kein Staat die staatenlosen Flüchtlinge haben wollte, waren sie nicht deportierbar. In einer Ordnung von Nationalstaaten, die alle aneinander grenzten, blieb als einziger gesetzloser Ort für die staatenlosen Flüchtlinge das Internierungslager. Die Verwüstungen im Inneren waren noch gewichtiger. „Da der Staatenlose ’die Anomalie darstellt, für die das Gesetz nicht vorgesorgt hat‘, kann er sich nur dadurch normalisieren, dass er den Verstoß gegen die Norm begeht, die im Gesetz vorgesehen ist, nämlich das Verbrechen.“x Es entstand die verrückte Situation, dass rechtlose und völlig unschuldige Flüchtlinge Verbrechen begehen mussten, um dadurch wieder Teil einer Rechtsgemeinschaft zu werden, aus der sie zuvor ausgesetzt worden waren.xi Gegenüber der Masse von rechtlosen Flüchtlingen formierte sich eine nicht weniger gesetzlose Polizei, die mit den Staatenlosen machen konnte, was sie wollte, ein Instrument, dass autoritäre bis totalitäre Regierungen vorzüglich zu nutzen wussten.
Das Ende der französischen Revolution
Mit der französischen Revolution entstand nicht nur das Modell des Nationalstaates, sondern mit der Volkssouveränität zugleich das Element, das zur größten Gefahr dieses Nationalstaates wurde, auch darin waren sich Kojève wie Arendt im Prinzip einig. Während die von den remigrierten Postmarxisten kräftig beförderte antifaschistische Ideologie den Nationalsozialismus in die reaktionäre Ecke zu bannen suchte, um die revolutionäre Utopie erhalten zu können, ahnten Kojève wie Arendt das Verhängnis, das die französische Revolution auf dem Kontinent hinterlassen hatte. „Es ist ja klar, dass die Hitlerparole ‚Ein Reich, ein Volk, ein Führer‘ nur eine - schlechte - deutsche Fassung des Ordnungsrufes der französischen Revolution ist: ‚Die Republik ist eine und unteilbar“ schrieb Kojève an de Gaulle und attestierte Hitler, ein aus der Zeit gefallener Robespierre mit napoleonischer Attitüde zu sein. Die Frage, ob die französischen Institutionen dem Ansturm einer revolutionären Massenbewegung standhalten würden, stellte er sich im Unterschied zu Arendt, die nach der Emigration in die USA sehr genau die Unterschiede zwischen der französischen und der amerikanischen Revolution studiert hatte, jedoch nicht.
Mit der Volkssouveränität als Grund einer Nation statt dem Gesetz als Zivilisierung eines Landes entstand auch die größte Gefahr des Nationalstaats: die Mobilisierung des Mobs.xii „Da diese Staatsform gleichzeitig die Errichtung verfassungsmäßiger Regierungen bedeutet und wesentlich auf der Herrschaft der Gesetze gegen willkürlich despotische Verwaltungen beruht hatte, war es auch die Gefahr, die gerade für diese Regierungen tödlich war. Sobald das immer prekäre Gleichgewicht zwischen Nation und Staat, zwischen Volkswillen und Gesetz, zwischen nationalem Interesse und legalen Institutionen verloren ging zugunsten eines demagogisch verhetzten Volkswillens […] erfolgte die innere Zersetzung des Nationalstaates mit großer Geschwindigkeit.“xiii Ohne politische Institutionen, die über ausreichend anerkannte Autorität verfügen, medial angefachten Massenhysterien etwas entgegen zu setzen, ist die Mobilisierung des Mobs der Untergang des alten Europa, eine Lektion, die man schon aus den Erfolgen der nationalsozialistischen Bewegung hätte lernen können und die heute - nach der Erfahrung einer Pandemie, die nur in den Medien existierte - über die Zukunft Europas entscheidet.
Weder Sozialismus noch Liberalismus
Nach dem Krieg hielten Arendt wie Kojève die Rückkehr zu einer bürgerlichen liberalen Ordnung für einen verhängnisvollen politischen Fehler, bewerteten allerdings den Stalinismus unterschiedlich. Ohne politische Idee, die den nationalen Rahmen der revolutionären unteilbaren Republik überschreite, so warnte Kojève eindrücklich de Gaulle, würde die liberale Entpolitisierung aus den Franzosen degenerierte, korrupte bourgeois machen, womit Frankreich in wenigen Jahren in der Bedeutungslosigkeit verschwinden, die zivilisatorischen Errungenschaften einer christlich-katholischen Welt vergessen würden. Der am Maßstab einer Sicherung des bloßen Lebens und einer Vergötterung eines aus allen Machtoptionen isolierten Individuums orientierte pazifistische Liberalismus wolle die politische Realität unterschiedlicher Gemeinwesen zugunsten einer zentralisierten und bürokratisierten Verwaltung mit angeschlossener Polizei für die Zwangsmittel auflösen, den Staat also in einen sozial-ökonomischen Polizeistaat verwandeln, während der internationalistische Sozialismus jede politische Differenzidentität und ihren Kampf um Anerkennung dadurch überspringe, dass er die gesamte Menschheit als Basis totaler Herrschaft und Planung ansetzen würde. Stattdessen seien Imperien verwandter Nationen mit der Religion als verbindendem Element die einzige Möglichkeit, dem Verschwinden Frankreichs als eigenständigem Gebilde vorzubeugen. Statt der Familie der Nationen teilte Kojève die Welt in drei unterschiedliche Imperien ein und nahm dabei die Religion als den wichtigsten politischen Faktor einer Verwandtschaft: den slawisch-sowjetisch-orthodoxen Block, den germanisch-angelsächsisch-protestantischen Block und den lateinisch-katholischen mit Frankreich an der Spitze. Ein Land wie Deutschland, das fähig sei, einer Illusion bis zur Erschöpfung nachzulaufen, hielt er für politisch hoffnungslos, eine Einschätzung, der man - bislang wenigstens - schwerlich widersprechen kann. Deutschland würde sich im germanisch-protestantischen Block einsortierten oder erneut zur großen Gefahr Europas werden. Eine Freiheitsperspektive für die mitteleuropäischen Länder, die gegen ihren Willen in das sowjetische Imperium eingezwungen wurden, spielte für Kojève keine Rolle.
Arendt, die zur Sichtung, Inventur und Verteilung noch vorhandener jüdischer Kulturgüter nach dem Krieg aus den USA wieder nach Europa gekommen war, merkte ebenfalls schnell, dass die Adenauer-Republik keinerlei Anstalten machte, sich ihrer tatsächlichen politischen Lage zu konfrontieren und schrieb schon 1952 enttäuscht an ihren Mann von der Wiederkehr des „verstunkenen Liberalismus“.xiv
Der Fluchtpunkt von Liberalismus und (Öko-)Sozialismus, so lassen sich beider Warnungen zuspitzen, ist die Verwandlung der Menschheit in ein einziges globales Lager unter einheitlicher bürokratischer Herrschaft, die Menschen, ihre Unterschiede, ihre Fähigkeiten und ihre Geschichten in behavioristisch steuer- und planbare Reiz-Reaktionsindividuen zurück züchtet, eine von heute und den ‚Fortschritten‘ von Big Tech aus gesehen, merklich näher gekommene Dystopie.
Während jedoch Kojève die totalitären Erfahrungen in links und rechts aufspaltete und das politische Genie Stalins hervorhob, der sowohl gegenüber der trotzkistischen „Utopie“ wie gegenüber dem Anachronismus eines Hitlerschen National-Sozialismus die Notwendigkeit eines begrenzten, aber beherrschbaren Imperial-Sozialismus erkannt habe, stellte Arendt nach den totalitären Einbrüchen die Frage, wie denn überhaupt Herrschaft in die Politik gekommen war, der sie ursprünglich fremd gewesen sei.
Der Tyrann und die Verschwörung
Während der Gesellschaftsvertrag nur eine fiktive Unterstellung der Philosophen ist, erscheint die Verschwörung als jener politische Knoten, an dem sich Politik, Macht und Recht in negativer wie positiver Weise verschränken. In der gegenwärtigen Phase der intensiven Ideologisierung der veröffentlichten Meinung erhielt der Begriff der Verschwörung einen nicht nur mehrdeutigen, sondern manichäischen Charakter. Aus der Sicht derjenigen, die eine alleinige Herrschaft über den Diskurs etablieren wollten, wurde jede abweichende Meinung, egal wie sachlich fundiert sie begründet war, als Verschwörungstheorie diffamiert, während die so Diffamierten darauf insistierten, gegenüber der organisierten Lüge einer bloßen Herrschaftsanmaßung die eigentliche Tatsachenwahrheit - das haltgebende republikanische Element - zu vertreten. Damit ist ein politischer Sinn von Verschwörung wieder ans Licht gekommen, der in der deutschen Nachkriegsgeschichte, obwohl er durch die Kriegsverbrecherprozesse eigens eingeführt worden war, zunächst schnell wieder in der Verschattung verschwunden war. Der Begriff der Verschwörung im Zentrum der öffentlichen Auseinandersetzung weist darauf hin, dass der demokratische Kontext verlassen und der tyrannische betreten wurde. Der Tyrann unterscheidet nur nach dem, was seine Macht stützt und was sie bedroht. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Aus der in einem demokratischen Kontext erwünschten Opposition wird im tyrannischen Kontext der Extremist und die Verschwörung, die rechtzeitig entdeckt und unschädlich gemacht werden muss, und sei es auch nur, um den Tyrannen als entschlossenen Retter erscheinen zu lassen. Aus der Sicht der Tyrannei bezeichnet der Extremismus alles, nur nicht die Tyrannei selbst.
Der Tyrann liebt die Verschwörung, solange er noch nicht an der Macht ist und er fürchtet nichts mehr als die Verschwörung, wenn er an der Macht ist, eine nahe liegende Paranoia, die man sowohl bei Stalin wie Hitler in ausgeprägter Form finden konnte und die auch gegenwärtig eine Rückkehr zu rechtlichen Verhältnissen zu blockieren sucht. Usurpatoren der Macht wissen intuitiv um ihre fehlende Legitimation. Sie wissen auch, dass die Beseitigung eines Tyrannen seit Alters her kein Verbrechen, sondern die angemessene Wiederherstellung eines zivilisierten Zustandes ist, in dem die Herrschaft der Gesetze wieder eingerichtet wird. Das macht die Tyrannen, die mit dem Rücken zur Wand stehen, und alle diejenigen, die von ihren verteilten Privilegien abhängig sind, so gefährlich.
Die remigrierte Verschwörung
„Wissen Sie, manchmal, wenn ich sehr traurig bin,
denke ich über das englische Recht nach, und das
macht mich glücklich. Nur der Gedanke daran. Die
Art und Weise, wie die Engländer mit ihrem Recht
umgehen, so sorgfältig, so respektvoll.“
unbekannter Pole, 1959
Die Diskussion, wie mit den Kriegsverbrechern umzugehen sei, begann schon während des Krieges. Die politische Führung der Weimarer Republik war nach dem Ersten Weltkrieg weder in der Lage, die Hauptverantwortlichen des Krieges auszuliefern, noch selbst vor Gericht zu stellen und abzuurteilen. Eine politische Fähigkeit zur Selbstreinigung konnte man den Deutschen nicht unterstellen. Das noch größere Problem: Verbrecher ist eine Rechtsposition. Auch der Verbrecher befindet sich an einem definierten Ort innerhalb einer rechtlich geordneten, zivilisierten Welt. Roosevelt, Churchill und Stalin wollten zunächst kein großes Aufheben um die Sache machen und plädierten für schnelle Lösungen bis hin zu Massenexekutionen. Die Nazis hätten alle Brücken hinter sich abgebrochen, sich außerhalb des Gesetzes gestellt, weshalb man sie auch als outlaws behandeln könne. Wer im Mittelalter als vogelfrei aus der Rechtsgemeinschaft ausgeschlossen wurde, konnte von jedem erschlagen werden, ohne dass damit eine Straftat begangen wurde, ein Hinweis darauf, dass Recht, wie die Menschenrechtsideologie suggerieren möchte, keine überall hin transportierbare Eigenschaft von Menschen, sondern an Räume gebunden war und zwischen natürlich gewaltsamen und politisch-rechtlich befriedeten Räumen unterschieden wurde. Finanzminister Henry Morgenthau - er hatte Architektur und Agronomie studiert - war der Nazi-Ideologie der „organisierten Schuld“ auf den Leim gegangen und wollte „die Deutschen“ unterschiedslos in ein deindustrialisiertes Bauernland verwandeln, das nie wieder Krieg führen könne. Dagegen bildete sich Widerstand um den Kriegsminister Henry L. Stimson, einem Anwalt, der sich für eine justizielle Aufarbeitung stark machte und kurz vor Kriegsende Truman überzeugen konnte, der wiederum Churchill und Stalin überzeugte. Mit dem Londoner Statut vom 8. August 1945 wurde die Grundlage für das Internationale Militärtribunal geschaffen.
Je mehr Details aus dem Krieg der Nazis bekannt wurden, je weniger die Geschichten um die Vernichtungslager bezweifelt werden konnten, spätestens nach der Befreiung der ersten Konzentrationslager durch die Rote Armee wurde jedoch klar, dass man es mit Taten und Tätern zu tun hatte, die sowohl den rechtlichen als auch den bislang bekannten kriegerischen Rahmen sprengen. Mit den gewohnten Möglichkeiten juristischer Aufarbeitung war dem nicht beizukommen. Die einzig angemessene Antwort fand Murray C. Bernays, ein amerikanischer, aus Russland eingewanderter Jude, der als Anwalt und Colonel der US Army maßgeblich die amerikanische Prozessstrategie entwickelte. Er definierte die Taten der Nationalsozialisten als „Verschwörung gegen die Zivilisation“xv. Gegenüber der in Kontinentaleuropa dominierenden Figur des Souveräns legt die Verschwörung das Schwergewicht auf das gemeinschaftliche, politische Handeln ebenso wie das gemeinschaftliche Nicht-Handeln. Ein Einzelner - das im Liberalismus zum Fetisch erhobene Individuum - kann sich nicht verschwören, weder für noch gegen die Zivilisation, weshalb Arendt vom Gewissen als „Grenzbegriff des Politischen“ sprach. Es kann erst dann ins Spiel kommen, wenn überhaupt kein gemeinschaftliches Handeln mehr möglich ist.
Eine Verschwörung ist eine gemeinsame Handlung, deren Worumwillen auf einem gegenseitigen Versprechen basiert. Man kann sich für oder gegen etwas verschwören. Die Verschwörung des deutschen Außenministers von Ribbentrop mit seinem sowjetischen Amtskollegen Molotow, die im geheimen Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Paktes die Aufteilung Mitteleuropas festlegte, fand ihre politisch angemessene Antwort in einer über 600 Kilometer langen Menschenkette durch das gesamte Baltikum, mit der sich die drei baltischen Länder am 50sten Jahrestages des Paktes für ihre politische Unabhängigkeit verschworen. Als Verschwörung lässt sich die Wannseekonferenz zur bürokratischen Abstimmung der Endlösung ebenso fassen wie die große Ausnahme der europäischen Judenvernichtung. In weitgehend spontanen Aktionen in ganz Dänemark taten sich Dänen zusammen, um einen Großteil der dänischen Juden außer Landes zu schaffen, bevor sie von der deutschen Besatzungsmacht eingesammelt und deportiert werden konnten.xvi
Mit der Kategorie der Verschwörung wird zwischen die gewohnten Aufteilungen wahr/falsch im religiösen oder gut/böse im moralischen Sinn eine dritte Kategorie geschoben: die eines gemeinschaftlichen Handelns, das machtpolitische Durchsetzung erst ermöglicht. Damit lassen sich gegenüber der deutschen Kollektivschuld unterschiedliche Handlungen erfassen und beurteilen: von den Initiatoren der Verschwörung, dem inneren Kreis, den Beteiligten der Verschwörung, die genau wussten, worum es geht und offen zugestimmt, bzw. nicht widersprochen haben, den Verschwörungen, die Hitler beseitigen wollten und den mehr oder weniger Ahnungslosen, die gar nicht verstanden oder auch nicht verstehen wollten, was vor sich ging. Zu einer funktionierenden demokratischen Ordnung gehört das öffentliche Organisieren von Mehrheiten innerhalb eines stabilen verfassungsrechtlich festgelegten Rahmens. Taucht der Begriff der Verschwörung im öffentlichen Diskurs auf, lässt sich daran entnehmen, dass nunmehr die Verfassung selbst auf dem Spiel steht. Wenigstens drei Kontexte lassen sich unterscheiden: die Verschwörung einer skrupellosen Minderheit, die oft unter dem äußeren Anstrich der Legalität eine Zerstörung der politischen Ordnung plant, die inszenierte Verschwörung, die propagandistisch als Vernebelung genutzt wird, um die wahren Absichten des Staatsstreiches zu verschleiern und die Zerstörer als Retter vor einer drohenden Gefahr zu inszenieren und die Verschwörungen derjenigen, die den drohenden Staatsstreich tatsächlich aufzuhalten versuchen.
Bis heute werden die als „Nacht der langen Messer“ bekannten Schlüsselereignisse auf dem Weg zur Alleinherrschaft Hitlers unter dem Nazibegriff des Röhm-Putsches oder noch extremer dem der Röhm-Affäre tradiert, als handele es sich um eine nebensächliche Liebesaffäre unter Privatpersonen. Tatsächlich wurden am 30. Juni und 1. Juli 1934 90 Personen, die meisten auf Befehl des Führers, hingerichtet und die Geschichte vom drohenden Putsch nur erfunden, um den Terror als mutig entschlossene nationale Rettungstat erscheinen zu lassen. Wie Jahrzehnte später der Bankier Jürgen Ponto von der RAF wurde der Ex-Reichskanzler General Kurt von Schleicher von fünf Personen in seiner Privatvilla im Arbeitszimmer hingerichtet, die hinzueilende Ehefrau gleich mit. Der Ministerialdirigent und Leiter der Berliner katholischen Aktion Erich Klausener wurde mitten am Tag in seinem Dienstzimmer des Reichsverkehrministeriums von hinten erschossen. Propagandistisch wurde die Hinrichtung als Selbstmord verschleiert. Andere verloren in den Räumen der Vizekanzlei ihr Leben oder wurden erst verhaftet und dann im Gefängnis exekutiert. Drei Tage später beschloss das Kabinett am 3. Juli 1934 das Gesetz zur Abwehr eines Staatsnotstandes, um den Staatsterror nachträglich zu legitimieren. Von den professionellen Organen der Rechtspflege, insbesondere den Richtern, die bei den Nürnberger Prozessen so vehement das Rückwirkungsverbot im Munde führten, war nichts zu hören.
Das Erstaunliche an dieser öffentlichen Verschwörung gegen das Recht sind nicht die politischen Morde als solche, die hat es in der Weimarer Republik von Anfang an gegeben. Das Bemerkenswerte ist die Selbstverständlichkeit, mit der am helllichten Tag in Regierungsgebäuden, Dienstzimmern, öffentlichen Anstalten und Privatvillen oder einfach auf der Straße nach Belieben Menschen hingerichtet werden. Die zentrale Aussage des Terrors: es gibt keine Räume mehr, in denen man sich unbeschwert und angstfrei aufhalten kann. Es kann jeden überall treffen. Das so überaus erstaunliche an dieser Aktion ist das Ausmaß an Gleichgültigkeit, auf die dieser massive Angriff auf jegliche Tradition zivilisierten Zusammenlebens trifft.
Die für Propaganda empfänglichen sind vom entschlossenen Führer begeistert, die meisten anderen bleiben passiv, von Empörung wird nur in katholischen Milieus und kleinen Teilen der alten preußischen Militärelite berichtet. Arthur Koestler hat bezogen auf die Folgen der Inflation vom Hexensabbat gesprochen, wenn ehrbare Hausfrauen sich prostituieren müssen, um die Kinder durch zu bringen. Sebastian Haffner war Zeuge, wie die altehrwürdige Institution des Berliner Kammergerichts lautlos in sich zusammenfiel, „dessen Räte sich 150 Jahre früher von Friedrich dem Großen lieber hätten einsperren lassen, als daß sich auf königliche Kabinettsorder hin ein Urteil änderten, das sie für richtig hielten“ und Hannah Arendt hat vom Ende jeder Tradition, jeder Gewohnheit, vom Vakuum gesprochen, dem der Nazismus seine Entstehung verdanke, wobei Deutschland nur der Vorreiter einer Krisenerscheinung sei, die den europäischen „Westen“ insgesamt erfasst habe.
Einen der markanten Unterschiede zwischen alter und neuer Welt beleuchtet dabei der Fall Litten: Hans Litten, ein junger engagierter Anwalt, verteidigte im Berlin der Straßenkämpfe für die Rote Hilfe linke Proletarier. Er wurde als einer der ersten am 28. Februar 1933 früh morgens zuhause abgeholt und in „Schutzhaft“ genommen. Sein Vergehen: er hatte in einem der Prozesse Hitler in den Zeugenstand geholt und ihn mit gezielten Fragen aus der Fassung gebracht. Litten stammte aus einer gutbürgerlichen Familie, die Mutter kam aus einer schwäbischen Pastoren- und Gelehrtenfamilie, der wilhelminisch geprägte Vater war als Ordinarius der Jurisprudenz Dekan, zeitweise Rektor der Universität Königsberg und wie man heute sagen würde, gut vernetzt. Die Mutter setzte nach der Verhaftung Himmel und Hölle in Bewegung, um ihren Sohn aus dem KZ herauszuholen, stieß damit in den deutschen großbürgerlichen Kreisen aber weitgehend auf Gleichgültigkeit und Ablehnung. Damit würde man sich nicht die Finger schmutzig machen. Es gelang ihr nicht, ihren Sohn freizubekommen. Hans Litten hatte nach vielen Misshandlungen und Foltern keine Kraft mehr und brachte sich 1938 im KZ Dachau um. Das Buch, das die Mutter über ihre Erfahrungen schrieb, landete auch auf dem Nachttisch von Eleanor Roosevelt, die nicht nur in ihrer regelmäßigen Kolumne den amerikanischen Landsleuten Irmgard Litten als Paradebeispiel politischer Tugend vorstellte, sondern auch das Vorwort für eine amerikanische Ausgabe schrieb. Im Unterschied zur französischen hatte die amerikanische Revolution die seit Beginn der politischen Philosophie gültige Differenz zwischen dem gerechten König und dem Tyrannen ad acta gelegt und jede Form von Herrschaft, an der die Bürger nicht beteiligt sind, als Tyrannei abqualifiziert. Dadurch bekam das Wort Republik einen verschwörerischen Sinn, den es in der Aufklärung so nicht hatte. Arendt verwies auf Kant, der noch ganz klassisch eine monarchische Republik von der Tyrannei unterschied, während sie die Großartigkeit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung („we hold…“) an der Verschwörung festmachte: „Aber noch bevor dieser neue Wortsinn sich allgemein durchgesetzt hat, trat das neue republikanische Prinzip deutlich in Erscheinung. In der Unabhängigkeitserklärung finden wir es in dem feierlichen Schlusssatz, ich welchem die Unterzeichner »sich gegenseitig verpflichten«, mit Leben, Gut und Ehre füreinander einzustehen.“xvii
Wie die Ungeheuerlichkeit der Taten traf auch das aus Amerika nach Kontinentaleuropa zurück gekehrte Konstrukt der Verschwörung als verantwortbares gemeinschaftliches Handeln in Deutschland auf eine jüngere kontinentale öffentliche Meinung, die dafür nicht vorbereitet schien, und damit weitgehend auf Unverständnis. Eine Verschwörung liegt im Grenzbereich zwischen Recht, Macht und Politik - in einer twilight zone - sie zersetzt das Recht von innen heraus ebenso, wie sie es allererst von außen stiftet, verweist damit auf einen Bereich inner-, wie außerhalb, der den klassischen Rahmen metaphysischer Begründungsontologien beunruhigt. In der modernen westlichen Ordnung eines liberalen Rechtsstaates mit seiner konstitutiven Trennung von Staat und Gesellschaft, erscheint das Recht als Sache des Staates. Richter sind darin Funktionäre des Staates und nicht Repräsentanten der Bürger. Das gesellschaftliche Individuum versteht sich als passiver Konsument rechtlicher Garantien, die es von anderen beansprucht, fühlt sich aber als Privatmensch weder für Rechtsetzung noch für Rechtswahrung zuständig. Das Wort vom „rechtschaffenen“ Bürger ist ihm fremd geworden. Das man auch für das verantwortlich ist, was man nicht tut, aber hätte tun können, empfindet das Individuum als Zumutung, eine moderne Tradition, die bis heute dafür sorgt, dass die Zahl derjenigen, die sich einer Verschwörung gegen die Zivilisation entgegenstellen, überschaubar bleibt. Die alte europäische Tradition einer Verschwörung für die Zivilisation schien in Vergessenheit geraten zu sein.
Zudem gab es eine Reihe von handfesten Gründen, die einen unmittelbaren juristischen Erfolg der Verschwörung gegen die Zivilisation im Rahmen der Nürnberger Prozesse aufschoben. Der Begriff Verschwörung infiziert sowohl die Vorstellung eines souveränen Staates wie den von Natur- oder Menschenrechten. Das Urteilen bekommt neben dem juristischen und religiösen Aspekt einen politischen, der außer Gebrauch war. Mit der von Bernays erarbeiten Prozessstrategie mussten nicht nur innerhalb der amerikanischen Administration, sondern auch innerhalb der Alliierten Kompromisse eingegangen werden, was dem Konzept der Verschwörung seine politische Spitze abgebrochen hat. Will man die Nazi-Barbarei als Verschwörung gegen die Zivilisation anklagen und verurteilen, kann das nur als Verschwörung für die Zivilisation gelingen, was Gemeinsamkeiten des politischen Handelns voraussetzt, die de facto nicht vorhanden waren. Frankreich hatte mit der französischen Revolution das Drehbuch für den verspäteten deutschen Robespierre/Napoleon geliefert und war mit den politischen Konsequenzen seiner Souveränitäts Tradition noch nicht zu Rande gekommen. Stalin konnte zwar mindestens ebenso gut wie Hitler Legalität vorspielen, hatte aber keine hauseigene Rechtstradition, auf die er hätte zurückgreifen können. Was noch schwerer wiegte: er hätte selbst wegen entsprechender Verschwörung gegen die Zivilisation auf der Anklagebank sitzen müssen. Die Engländer wiederum hatten genug damit zu tun, ihr Imperium in ein Commonwealth umzuwandeln. Von einer tragfähigen gemeinsamen Vorstellung, wie zu zivilisierten Zuständen zurückzukehren sei, konnte nicht die Rede sein.
Durch das strategische Interesse der US-Administration, die Ächtung des Angriffskrieges, worüber man sich 1928 im Kellogg-Briand-Pakt nur vereinbart hatte, statuarisch im Völkerrecht zu verankern, geriet das entscheidendere politische Moment der Verschwörung aus dem Fokus. Mit dem Stichtag 1. September 1939 wurden alle Geschehnisse davor ausgeklammert, die eigentliche Verschwörung gegen das Recht in der „Nacht der langen Messer“ ebenso wie die gemeinschaftliche Opferung der Tschechoslowakei. Martha Gellhorn, die amerikanische Auslandskorrespondentin, war seinerzeit Zeugin der letzten Fahrt des Präsidenten Edvard Beneš durch Prag, bevor er ins Exil ging und schrieb lange vor Kriegsausbruch vom drohenden Ende der Demokratien in ganz Europa.xviii
Menschlich verständlich aber politisch ungenügend, fürchteten sich auch die Richter vor dem Unheimlichen und bewegten sich lieber auf vertrautem Gelände. In Nürnberg wurde wesentlich wegen Verschwörung zu einem Angriffskrieg verhandelt, was, wie Arendt im Epilog zum Eichmann Prozess zu Recht monierte, gar keinen Anspruch auf einen Präzedenzfall geltend machen konnte, denn Angriffskriege hat es gegeben, seit es Menschen gibt. Wirklich neu war die industrielle Entsorgung von Menschen, denen das einzige Menschenrecht - das Recht, Rechte zu haben - aberkannt und damit das Menschsein selbst entzogen worden war. Es ist mehrfach darauf hingewiesen worden, dass die Nazis peinlich darauf geachtet haben, den Juden sämtliche Rechte abzuerkennen, bevor sie in die Gaskammern geschickt wurden. Was geschehen ist, konnte nur in einem gesetzlosen Raum geschehen, was Täter wie Opfer gleichermaßen betrifft.
Durch die Fokussierung auf den Angriffskrieg waren aus der justiziellen Aufarbeitung nicht nur alle Handlungen innerhalb Deutschlands vor Kriegsbeginn herausgezogen. Dem Gerichtshof, dessen zentrale Aufgabe es hätte sein müssen, die angegriffene Zivilisation, das Gesetz selbst wieder einzurichten, war damit seine wichtigste Legitimation genommen.xix Die Ausklammerung der Verschwörung gegen das Recht öffnete der besiegten deutschen Elite Tür und Tor, den Prozess als Siegerjustiz zu brandmarken und mit Verletzung grundlegender Rechtsprinzipien wie Nullum crimen, nulla poena sine lege zu delegitimieren, was, hätte man die Verschwörung gegen das Recht ins Zentrum gesellt, weitaus schwieriger gewesen wäre. Von Siegerjustiz lässt sich sinnvoll nur sprechen, wenn man eine zuvor intakte Besiegtenjustiz voraussetzt. Wer sich dagegen schon bei der Herausforderung der Rechtswahrung hinter die Büsche geschlagen hat, kann schlechterdings keine Rechtsansprüche gegen andere geltend machen.
Robert M.W. Kempner, einer der remigrierten US-Ankläger, der als Chefjustiziar im preußischen Innenministerium 1930 in einer Denkschrift vor der drohenden Verschwörung der Nazi-Clique gewarnt hatte (erst seit ein paar Jahren wird wieder öffentlich an ihn erinnert), hat einen dieser Momente präzise erfasst. In der Nacht der langen Messer wurde auch sein Chef, Ministerialdirigent Erich Klausener am 30. Juni 1934 in seinem Dienstzimmer von SS Mann Kurt Gildisch auf Anweisung von Heydrich erschossen. Der Mörder wurde wenige Tage später aufgrund seiner Leistungen zum SS-Sturmbannführer befördert. Dazu Robert M.W. Kempner: „Zu der Zeit, über die wir jetzt sprechen, gab es noch nicht so viele Leichen, mindestens aber beim Röhm-Putsch hätten sie eigentlich etwas merken müssen, gerade wegen der Ermordung von bürgerlichen Leuten. Die ganze Verwaltung hätte ja aufstehen müssen, als Klausener ermordet wurde. Die ganze Generalität hätte aufstehen müssen, als Schleicher ermordet wurde. Die haben gar nicht daran gedacht. Es war eine Niederlage in ganz großem Maße, an der die Bürgerschaft, teilweise auch die Arbeiterschaft beteiligt war, die ganze Linke beteiligt war.“xx Nur einen Monat nach dem Büromord formulierte Carl Schmitt am 1. August 1934 in der Deutschen Juristen-Zeitung: “Der Führer schützt das Recht vor dem schlimmsten Missbrauch, wenn er im Augenblick der Gefahr kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft.“ Schmitts theologisch inspirierte Souveränitätsobsession deklariert eine bloß inszenierte Verschwörung zum Ausnahmezustand, um den Führer auf eine mosaische Position zu hieven, von der aus das neue Gesetz verkündet werden kann. In Kempners Wahrnehmung hingegen wird angesichts einer tatsächlichen Gefahr nach dem Verbleib der Gefährten gefragt, die in der Lage sind, die Herausforderung einer Verschwörung gegen das Recht zu beantworten. Die beiden Wahrnehmungen beleuchten nicht nur den Unterschied zwischen Souveränität und Autorität, sondern en passant auch den zwischen Alter und Neuer Welt und damit den zwischen Demokratie und Republik. „Es hätte die ganze Verwaltung aufstehen müssen“ benennt den Kern des deutschen Problems, an dem sich - aller Vergangenheitsbewältigung, „Nie wieder“- Beschwörung und Integration in den Westen zum Trotz - nicht das Geringste geändert hat.xxi
Die Verschwörung als Instituierung des Rechts
In den allermeisten Darstellungen zum Nürnberger Prozess kann man bis heute in schöner Regelmäßigkeit den Unsinn lesen, dass es sich bei Verschwörung um einen speziellen Straftatbestand aus dem angelsächsischen Recht handeln würde, den es auf dem Kontinent nicht gegeben hätte, was zum einen auf die Bildungsferne, zum anderen aber auch auf die Bedeutung eines kollektiven Gedächtnisses hinweist.
Im frühen Mittelalter bezeichnete Verschwörung (conjuratio) einen öffentlichen gemeinschaftlichen, oft in regelmäßigen Abständen wiederholten Akt, in dem sich die Vollbürger einer Stadt gegenseitig versprachen, sich als politisch Gleiche anzuerkennen, Freiheit und Frieden ihrer Stadt zu hüten und die Gewalt vor die Stadtmauern zu verbannen. Der ritualisierte Akt des acting in concert schaffte das Recht zwischen einer durch diesen Akt erst entstandenen Rechtsgemeinschaft, er setzte Recht und Verschwörer gleichursprünglich als Rechtsstifter, Rechtswahrer und Rechtsgaranten ein. Die gemeinschaftliche Handlung selbst stellte damit den maßgeblichen Geltungsgrund des Rechts dar, was das verschworene, politisch gewillkürte Recht von Vorschrift oder Gebot des Herrn merklich unterscheidet. Max Weber hat diese Durchbrechung des Herrenrechts als der „Sache nach revolutionäre Neuerung der mittelalterlichen-okzidentalen gegenüber allen anderen Städten“ bezeichnet, „eine Konsequenz der in der germanischen Gerichtsverfassung noch nicht abgestorbenen Auffassung jedes Rechtsgenossen als eines ‚Dinggenossen‘ und das heißt eben: als eines aktiven Teilhabers an der Dinggemeinde, in welcher [er] das dem Bürger zukommende Recht als Urteiler im Gericht selbst mitschafft. […] Dies Recht fehlte den Gerichtseingesessenen in dem weitaus größten Teil der Städte der ganzen Welt.“xxii
Mit der verschwörten Ordnung entstand neben den auch anderswo vertrauten Bindungen des Hauses und der Sippe/Verwandtschaft eine neue, an den befriedeten Freiheits-Spiel-Raum der Stadt gekoppelte Bindung. Das Übergangsritual der gegenseitigen Verschwörung versetzte Individuen zu Bürgern, eine Identitätsveränderung, die auch Max Weber aufgefallen war. „Sich derart miteinander ‚Verbrüdern‘ aber heißt, […] dass man etwas qualitativ Anderes ‚wird‘ als bisher […]. Die Beteiligten müssen eine andere ‚Seele‘ in sich einziehen lassen.“xxiii Durch das regelmäßig wiederholte Ritual entstanden nicht nur Rechtsverhältnisse, die mit der Zeit in Gewohnheit einsickerten und Bindungen verstetigten, durch die Wiederholung entstand auch der gemeinschaftlich geteilte Sinn für die Gefahr, denen ein Stadtfrieden stets ausgesetzt ist, wenn sich Machtstrukturen monopolisieren und abspalten und Konflikte in Gewalt umschlagen. Mit dem Schwörbrief als festgehaltenem Ergebnis der Verschwörung entstand eine wahrnehmbare, äußere Sache, die von allen Verschwörern geteilt wurde und, je länger sie hielt, desto sakralisierteren Charakter angenommen hat - das „gute alte Recht“. Eine der seltenen akademischen Abhandlungen über den Schwörtag erwähnt eine Beschreibung von 1719, worin der „Geschworene Brief“ als „unser loblichet Statt Zürich vornehmste Fundamentalgefäß“ bezeichnet wird.xxiv Je mehr Generationen der Schwörbrief ein friedliches Zusammenleben gewährleistet hatte, desto größer wurde die Scheu, ihn, obwohl er der Willkür entsprungen war, willkürlich zu ändern, ein Thema, das auch Thomas Jefferson lange umtrieb. Wenn man einer Generation von Einwanderern die Freiheit zubilligt, sich zu Amerikanern zu verschwören und diesen Akt in einer schriftlichen Verfassung festzuhalten, mit welchem Recht könnte man dann einer folgenden Generation die gleiche Freiheit untersagen?
Mit dem Eindringen und Verdichten der Herrschaft verschwindet die Form der Gegenseitigkeit und damit auch jenes spezielle Rechtswesen, das nur der Okzident hervorgebracht hat. Von den Beherrschten wird der Gesetzesgehorsam erwartet, während die Herrschenden behaupten, jeden nach Rechts und Gesetz gleich zu behandeln. Gegenüber dem Blendwerk der „Grundrechte“ wird das Recht in dieser Rechtsform zum Privileg.
Übergangsrituale werden dort instituiert, wo Gefahr und Folgen eines Scheiterns dieser schwierigen Passage besonders groß sind, das sind im Biografischen die Übergange zwischen Jungen und Mann und der zwischen Mädchen und Frau und im Politischen der zwischen Individuum und Bürger. Die Phänomene fortschreitender Infantilisierung, denen wir überall im Westen begegnen, deuten daher auf etwas hin, das verloren gegangen scheint.
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Publiziert auf: Eine zweiteilige Fassung erschien auf Globkult: Teil 1: Die Verschwörung, Teil 2: Die remigrierte Verschwörung
i Das Lateinische Reich. In: Tumult. Schriften zur Verkehrswissenschaft 15 (1991), S. 92–122
ii Fritz Fischer: Zum Problem der Kontinuität der deutschen Geschichte von Bismarck zu Hitler, in: Bracher et al. (Hg): Nationalsozialistische Diktatur 1933 - 1945 , Eine Bilanz, Bonn 1986, S. 770
iii ebd. S. 120
iv man muss an dieser Stelle darauf hinweisen, dass Israel Gefahr läuft, in einer ähnlichen Sackgasse zu landen. Die einzige sinnvolle politische Initiative nach dem von Arafat provozierten Scheitern der israelisch-palästinensischen Verhandlungen kam dazu von Donald Trump, der versuchte, den theokratisch verfassten Iran zu isolieren und Israel in potenzielle Allianzen mit anderen arabischen Staaten einzubinden
v vgl dazu vom Autor: Gesetzung und Bewegung, https://www.hannah-arendt.de/2019/05/gesetzung-und-bewegung/,
vi vgl.: Margaret MacMillan: Die Friedensmacher, Wie der Versailler Vertrag die Welt veränderte, Berlin, 2018 und aus weniger illusionärer Perspektive: Robert Gerwarth: Die Besiegten. Das blutige Erbe des ersten Weltkriegs, München 2016
vii Das Urteil des Internationalen Militärgerichtshofes in Nürnberg erwähnte in seiner Begründung ausdrücklich Punkt 1 des Parteiprogramms, das Adolf Hitler am 24. Februar 1920 in München verkündete: „Wir fordern den Zusammenschluss aller Deutschen auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes der Völker zu einem Großdeutschland.“, in: Das Urteil von Nürnberg, München 2005, S. 22
viii Es hat auch in der Hochphase der Corona-Massenhysterie nicht viel gefehlt und man hätte die Ungeimpften in Lagern konzentriert.
ix vgl. Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Frankfurt a.M. 1986, S. 422
x ebd. S. 446
xi Heute entledigen sich sogenannte „Flüchtlinge“ ganz bewusst ihrer Staatsbürgerschaft, weil sie längst gelernt haben, dass sie aus der Position der Vogelfreien der zerfallenenden Aufnahmegesellschaft am erfolgreichsten ihre Maßstäbe aufzwingen können. Selbst ein großer Teil der Richter demonstriert mit der Verweigerung einer angemessenen rechtlichen Sanktionierung den Unwillen, an diesem Zustand etwas zu ändern. Schon diese Konstellation, die innerhalb kurzer Zeit eine zivilisierte Rechtsgemeinschaft in eine Barbarei transformiert, führt das Gerede von der Integration ad absurdum. Einen Integrationssog können nur Gemeinwesen erzeugen, deren Gemeinschaft aus der Sicht der Neuankömmlinge erstrebenswert erscheint. Mit Deutschen, die nach dem verlorenen Krieg den Selbsthass der Juden kultiviert haben, ist das schwer vorstellbar.
xii nicht zufällig erschien 2023 das Buch des Althistorikers Michael Sommer unter dem Titel: Volkstribun - Die Verführung der Massen und der Untergang der römischen Republik
xiii Elemente und Ursprünge, S. 434
xiv Brief aus Freiburg am 24. Mai 1952 an Blücher: „Mit der trügerischen Sicherheit hast Du mehr als recht. Hier auch, alles normalisiert sich. An Jaspers war das schon so deutlich. Wieder der alte verstunkene Liberalismus.“
xv Den Euphemismus vom „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, der sich im deutschen Sprachgebrauch bis heute eingebürgert hat, nannte Arendt „wahrhaftig das Understatement des Jahrhunderts“.
xvi Man wird auch die Frage stellen müssen, ob das, was aus den entschwärzten Protokollen von RKI, Corona-Expertenrat und Krisenstab zu entnehmen ist, unter die Kategorie der Verschwörung fällt.
xvii Hannah Arendt: Über Revolution, München 1994, S. 167
xviii Nachruf auf eine Demokratie, in: Der Blick von unten, Reportagen 1931 - 1959, erschienen in den USA im Dezember 1938
xix Arendt verwies auf den Piraten als hostis humani generis, der als Feind aller einzig als schlüssiger Präzedenzfall für ein Verbrechen gegen die Menschheit herangezogen werden könne, betonte aber zugleich die Schwierigkeit, dies auf Eichmann anzuwenden, der sich an die seinerzeit geltenden Vorschriften hielt; Eichmann in Jerusalem, München 1986, S. 310
xx Robert M.W. Kempner: Ankläger einer Epoche, Frankfurt a.M. 1983, S. 92
xxi Man muss daran erinnern, dass der erste offene Verfassungsbruch der immer noch gefeierten Altkanzlerin Merkel weit vor Corona zwar einen Aufschrei unter der überschaubaren Szene der Staatsrechtler auslöste, - von einem „Tsunami für die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland“ war die Rede - jedoch weder im Parlament noch in der politischen Öffentlichkeit irgendeine Reaktion hervorrief. Mittlerweile ist das Regieren per Maßnahmendekret im Ausnahmezustand die neue Normalität.
xxii Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, Kap. IX, Herrschaftssoziologie, §2 Die Stadt des Okzidents, Frankfurt 2005, S. 950
xxiii ebd., Kap. VII. Rechtssoziologie, § 2. Die Formen der Begründung subjektiver Rechte, S. 513, der Satz erscheint in einem Kontext, in dem Weber zwischen „Status“ - Kontrakten und „Zweck“ - Kontrakten“ unterscheidet; den Hinweis auf diese Stelle verdanke ich Christian Meier (Hg.) Die okzidentale Stadt nach Max Weber; es ist nicht unwichtig zu erwähnen, dass die dort versammelten Aufsätze aus Vorträgen des Bochumer Historikertages von September 1990 hervorgegangen sind, also dem Zeitpunkt, an dem die Grünen als Repräsentanten einer Verweigerungs-Generation mit dem Wahlplakat Furore machten: Alle reden von Deutschland - Wir reden vom Wetter.
xxiv Anne Christina May: Schwörtage in der frühen Neuzeit, Stuttgart 2019, S. 52
18. August 2024 um 18:09 Uhr
Zu Kojeve erscheint noch von Bedeutung, daß dieser in den 1930er Jahren Stalin für die Verkörperung des Hegelschen Weltgeistes hielt, eine Rolle, die bei Hegel noch Napoleon eingenommen hat, jedenfalls nach der Kojeveschen Interpretation .
19. August 2024 um 09:29 Uhr
Ja! Der Text enthält eine ganze Reihe von Andeutungen, die gründlicher ausgearbeitet werden müssten, was, solange ich noch voll berufstätig bin, die Sache zeitlich zu sehr in die Länge gezogen hätte. Ich habe mich deshalb für diese Form eines ersten Aufschlages entschieden.