Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Scholz,
ich möchte mich hiermit für das Amt des deutschen Botschafters in Israel bewerben. Sie kennen mich noch! nicht; aber Sie kennen den Ort, an dem ich zur Zeit wohne: Hamburg-Rahlstedt. Soweit ich weiß sind Sie hier zur Schule gegangen. Kürzlich habe ich jemanden getroffen, der mit Ihnen im Orchester gespielt hat. Ich wollte mit Ihnen jedoch nicht über die Vergangenheit sprechen, sondern über die Zukunft, genauer gesagt, die Zukunft der deutschen Botschaft in Israel.
Neubeginn der deutschen Diplomatie in Israel
Mir ist bewusst, dass die Stelle des deutschen Botschafters in Israel noch! nicht frei ist, aber ich werde Sie hoffentlich überzeugen können, dass ich der richtige Mann für diesen Job bin. Herr Seibert ist sicherlich eine gute Wahl; der Mann hat Fähigkeiten, die er über die Jahre im Dienste der Regierung eingesetzt hat. Nur, seit dem 7. Oktober ist die Welt für Israelis und Juden weltweit nicht die Gleiche. Ich war wie viele geschockt, aber nicht erstaunt. Noch Ende August hatte ich einen Traum, in dem Israel von Horden überrannt und in einen nuklearen Krieg mit dem Iran gezwungen wurde. Ich dachte, nur ein Traum, wusste aber, dass die Horden ein Gegenstück in der Wirklichkeit hatten: die ungezählten, bewaffneten jungen Männer, die mit Hass auf Israel an dessen Grenzen nur auf ein Signal warten, um loszuschlagen. Gegen eine solche Gewaltbereitschaft ist kein freiheitlicher Staat gewappnet. Das war mir schon vor dem 7. Oktober klar. Über die Offenheit, der weltweit gezeigten Empathie für die aus Gaza eindringenden Massenmörder, war ich dann doch erstaunt. In einer solchen Situation hat ein Botschafter egal welcher Nation nur eine Aufgabe: An der Seite des überfallenen Landes und der Opfer der Gewalt zu stehen. Herr Seibert hat sich vor dem 7. Oktober eher als spaltendes Element zwischen unterschiedliche Gruppen und Parteien der israelischen Gesellschaft geschoben. Offenbar hat er die Geschlossenheit der Israelis in der gegenwärtigen Situation erkannt und sich voll hinter Land und Leute gestellt. Das ist was ich von unserem Botschafter erwarte. Eine Selbstverständlichkeit zu loben zeigt vor allem, wie weit wir vom Selbstverständlichen entfernt sind. Es wird sich zeigen, ob Herr Siebert diesen Wandel durchhalten kann und - vor allem - ob die Israelis ihm eine zweite Chance geben und verzeihen. Zweiteres halte ich für wahrscheinlich, ersteres wird sich zeigen. Bedenken sind aber angebracht, ob Herr Seibert sich das Vertrauen der Israelis nach dem Kriegsende erarbeiten kann. Es geht dabei nicht um die persönliche oder politische Wandelbarkeit des Botschafters. Es braucht nichts Geringeres als einen Neubeginn der deutschen Diplomatie in Israel - und ich wäre dafür der Mann der Stunde.
Deutsche Interessen, Wertschätzung Israels
Ich werde in Israel die Interessen des deutschen Volkes, der dort agierenden deutschen Staatsbürger und Unternehmen sowie der Besucher und Touristen vertreten. Neben einer guten diplomatischen Beziehung zur jeweiligen israelischen Regierung würde es mir aber vor allem darum gehen, Land und Leute wertschätzend kennen zu lernen. Zur Zeit senden wir widersprüchliche Signale nach Israel und an das eigene Volk: einerseits irritiert Herr Seibert große Teile der israelischen Öffentlichkeit und Regierung; andererseits haben Sie Israels Sicherheit zur Staatsräson erklärt. Selbst für leid-gewohnte und israel-solidarische Bundesbürger wie mich ist es schwer nachzuvollziehen, warum die Räson unseres Staates nicht die eigenen Bürger sind, sondern die Bürger eines anderen Landes. Andererseits hat Herr Seibert vor Ort in Israel nicht genug getan, den Bürgern Israels unsere Solidarität praktisch spüren zu lassen. Im Gegenteil hat er den Israelis und der israelischen Regierung erklärt, was sie falsch macht und besser tun oder lassen sollte. Zugleich lädt er selbst-erklärte Feinde der Juden und des Staates Israels in die deutsche Botschaft ein und nimmt an „alternativen“ Gedenktagen teil. Das gehört sich nicht für einen Botschafter und Gast. Gastfreundschaft spielt in der ganzen Region eine wichtige Rolle, bei allen Beteiligten. Das ist wie eine gemeinsame Währung und Sprache unterhalb der brodelnden Konflikte. Ich fürchte Herr Seibert hat trotz guter Sprachkenntnisse diese Sprache nicht gelernt. Unsere Staatsräson kann in Israel nicht wahrgenommen werden, wenn das Benehmen unseres Botschafters als ungehörig empfunden wird.
Regeln der Gastfreundschaft missachtet
Die Regeln der Gastfreundschaft erlauben es nicht einen Freund oder Gast öffentlich zu kritisieren. Das gilt in beide Richtungen. Ein Gast der sich daneben benimmt wird weder kritisiert noch schlecht behandelt. Der Gast als König kann die ganze Gastfamilie in eine Krise stürzen, wenn er die Regeln nicht kennt oder die Gastfreundschaft bewußt ausnutzt. Es ist daher ein erstaunlicher Vorgang, wenn die israelische Regierung sich an Herrn Seibert selbst und das Außenministerium in Berlin wendet, um gegen sein Verhalten zu protestieren. Dieser Vorgang zeigt, dass der Botschafter nicht mehr als Gast und Freund Israels gilt. So kann er seine Aufgabe nicht erfüllen. Ich glaube, es wäre an der Zeit über einen Nachfolger nachzudenken. Wäre ich Botschafter, wüsste ich einen solchen Bruch der Gastfreundschaft zu vermeiden. Da es zum ungeschriebenen - oft besungenen - Recht des Gastes gehört, diesen trotz Fehlverhalten im Haus zu belassen. Wollen Sie auf weitere israelische Proteste warten? Oder wollen Sie die Zeichen erkennen und jetzt handeln?
Botschaft in Jerusalem
Überall auf der Welt liegen Botschaften in der Hauptstadt nahe am Regierungssitz. Mein Wohn- und Arbeitsort als deutscher Botschafter wäre Jerusalem und ein vordringliches Ziel meiner Amtszeit die Verlegung der Botschaft in die Hauptstadt. Übrigens ist der Sonnenaufgang über der Altstadt von Jerusalem phantastisch. Ich könnte Sie beim nächsten Staatsbesuch morgens zur Promenade in die Haas Strasse (Tayelet Haas Promenade) führen - von dort ist der Sonnenaufgang besonders schön; dann ein Spaziergang zum Falafel auf der Via Dolorosa in der Altstadt. Vielleicht finden wir dabei ein passendes Objekt für die Botschaft.
Richter ohne Verfassung und prophetische Gerechtigkeit
Als Botschafter würde ich zurückhaltendes Interesse für komplexe, innenpolitische Fragen, wie die Justizreform, zeigen. Auf die Idee, mich öffentlich und schlaumeierisch einzumischen, käme ich gar nicht. Bei meinen ersten Besuchen in Israel (Anfang der 90iger Jahre) hat mich das Gebäude des Obersten Gerichtshofs sehr fasziniert. Es steht oberhalb der Knesset, schaut sozusagen wie ein Wächter auf das Parlament herunter. Da Israel über keine Verfassung verfügt, ist die Macht der Richter des Obersten Gerichtshofes nahezu unbegrenzt. Sie treffen - oft und schnell - im politischen und militärischen Tagesgeschehen Entscheidungen mit großer Tragweite für alle Israelis. Während meines Studiums der Religionswissenschaft an der FU in Berlin, als diese schon den Titel „Freie“ Universität nostalgisch vor sich her trug, habe ich mich mit den prophetischen Aspekten des Gebäudes befasst. Die prophetische Gerechtigkeitstradition steht in einer ständigen Reibungsbeziehung zur Machtausübung der Richter und Regierungen. Diese Reibung zwischen prophetischer Kritik der Ungerechtigkeit und politischer Umsetzung von säkularen Gerechtigkeitsvorstellungen lässt sich in Israel wunderbar studieren. Meine innere Haltung ist hier von Interesse und Hochachtung vor den Leistungen der jüdischen Tradition geprägt. Ich stimme also Herrn Seibert zu: The Supreme Court is the place to be. Ich drücke damit die Faszination für die, im Gebäude zum Ausdruck kommenden, Spannungsverhältnisse der israelischen Gesellschaft aus. Eine teutonische Platzbesetzung, wie sie meinem Vorgänger in spe unterstellt wurde, wäre mir völlig fremd. Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, falls Sie noch nicht Zeit hatten das Gebäude auf sich wirken zu lassen, würde ich als Botschafter bei Ihrem nächsten Besuch liebend gerne eine Architekturführung organisieren.
Botschafter als Nachhilfelehrer in Sachen Demokratie?
Ich habe gelesen, dass Herr Seibert es für angebracht hält, den Israelis Nachhilfe in Sachen Demokratie zu geben und Noten für eine Justizreform zu vergeben. Ich kann Ihnen versprechen, solche Peinlichkeiten und diplomatische Fauxpas werden mit mir als Botschafter ausbleiben. Es ist immer gut zuerst vor der eigenen Haustür zu kehren. Wer sind wir, dass wir uns dermaßen einseitig für die Übermacht eines, an keine Verfassung gebundenen, Obersten Gerichts stark machen? Ist hier gar der Wunsch Vater des Gedankens: es möge auch unser Verfassungsgericht frei von der Verfassung entscheiden können, Recht sprechen als ob es eine solche nicht gäbe?
Diplomatie und Bündnisfähigkeit
Neben dem prophetischen Gerechtigkeitsanspruch ist sie eine Religion des Bündnisses. Sozusagen ein Lehrbuch der Diplomatie: das Bündnis mit sich selbst, mit den Anderen und mit Gott. Deutsche Spalternaturen sind in Israel schnell allein. Ich durfte das nach der Ermordung Jitzchak Rabins auf die beschwerliche Art lernen. Es war die Zeit der Illusionen, als viele Israelis - und auch ich - glaubten, die Zwei-Staaten-Lösung wäre das, was die palästinensischen Verhandlungspartner wollten. Als Rabin von einem Gegner des Oslo-Abkommens ermordet wurde habe ich gegenüber Freunden die Hoffnung geäußert, dies wäre eine gute Chance, sich der radikalen Opposition zu entledigen. Mir wurde klar gemacht: So machen wir das nicht. Ich habe es erst über die Jahre verstanden; aus Irritation wurde Respekt. Das israelische Verhalten kommt nicht nur aus der Erfahrung externer Bedrohung und dem Wissen, dass nur ein geschlossenes und starkes Israel Frieden schließen kann in einer Region, die Schwäche gnadenlos ausnutzt. Es gründet auch in einer der größten Leistungen der jüdischen Religion, der vollständigen Ablösung des Menschenopfers. Ich habe nicht den Eindruck Herr Seibert kann diese Leistung ausreichend würdigen. Sie spielt aber im Alltag der Israelis eine bedeutende Rolle.
Delegitimierung des Menschenopfers
Ich schreibe diese Zeilen während die ersten Geiseln aus den Händen der Hamas frei kommen. Welch Zerreißprobe für ein Land, das bereit ist, selbst noch für die Rückgabe der Leichen ihrer Soldaten unglaubliche Zugeständnisse zu machen. Was für ein Zeugnis der Unmenschlichkeit, Geiseln - auch Kinder - als Schutzschild und Druckmittel einzusetzen. Eine säkulare Version der Ablösung vom, nicht zu rechtfertigenden, Menschenopfer wird Golda Meir zugeschrieben: Die Ermordung der eigenen Söhne kann verziehen werden; der Zwang, das eigene Überleben nur durch die Tötung der Söhne anderer ermöglichen zu können, ist viel schwerer zu verzeihen. Zu sehr widerspricht es dem Vertag mit Gott, den Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens und der Bejahung des Lebens an sich. Es gibt keine Pflicht zum Selbstmord im Angesicht einer Katastrophe in der jüdischen Tradition. Der Gott, der auf Menschenopfer verzichte, tut dies, um der menschlichen Gemeinschaft ein lebendiges Miteinander ohne Selbstzerstörung zu ermöglichen. Selbstzerstörung erhält im Judentum ebensowenig eine religiöse Rechtfertigung wie die religiöse oder politische Funktionalisierung der Tötung von Menschen. Der kollektive Selbstmord von Masada wird als Ausdruck der gottgewollten Freiheit der Belagerten, zwischen Tod durch römische Soldaten oder durch die Eigenen zu wählen, interpretiert. Die Delegitimierung des Menschenopfers als Staatsräson ist ebenso einzigartig wie schwer umzusetzen. Die klammheimliche Freude, die in unserem Land immer wieder bei politisch motivierten Morden aufkommt und die Rechtfertigung eines Massakers als „Freiheitskampf“ sind das Gegenteil der religiösen Überwindung des Menschenopfers. Als Botschafter würde ich auf jeden Fall versuchen, die Bündnisfähigkeit ebenso zu betonen wie die gemeinsamen Wurzeln von Juden und Christen in der Delegitimierung des Menschenopfers.
Ein gläubiger Christ als Botschafter
Ich selbst bin gläubiger Christ, habe aber durch Heirat Verwandte in allen drei monotheistischen Religionen geschenkt bekommen; israelisch-amerikanische Juden, christliche Palästinenser, afghanische Sunniten und iranische Schiiten, und das große Herz meiner kosovarischen Schwiegermutter, bei der alle Fäden der Menschlichkeit über alle Unterschiede hinweg zusammen laufen. Der Umgang mit tiefgläubigen Menschen ist mir ebenso vertraut wie die Erfahrung der interreligiösen Toleranz. Das Studium am religionswissenschaftlichen Institut in Berlin hat diesen Respekt vor den großen zivilisatorischen Leistungen der Religionen vertieft, ohne einer naiven EineWelt-Religion zu verfallen. Ich kenne die Praxis und Theologie der vielen jüdischen Gruppen und habe Grund zur Annahme, dass ein gläubiger Christ die Aufgabe des Botschafters besser erfüllen kann als jemand, dem religiöse Erfahrung fremd ist.
Meine Familie, ein Pluspunkt
Meine Familie, insbesondere meine Frau Valbona Ava Levin, wären mir bei der Erfüllung meiner Aufgaben eine Stütze und Inspiration. Meine Frau ist ein Pluspunkt, da sie sowohl im Aussehen und mediterranen Gestus, aber auch in der tiefen Verbundenheit zur Religion und dem Glauben an Gott, sich in Israel bewegen würde wie ein Fisch im Wasser. Zudem hat sie die harte Schule der Gastfreundschaft ihrer kosovarischen Mutter durchlaufen. Sie kennt die Grundregel für Gäste: Dein Besuch muss eine Bereicherung sein, und wenn du gehst ist es gut, wenn dich alle vermissen. Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, ich hoffe Sie können nun erkennen, dass ich für Deutschland und für Israel eine gute Besetzung des Botschafterpostens wäre. Über eine positive Antwort auf meine Bewerbung würde ich mich freuen.
Mit freundlichen Grüßen aus Rahlstedt,
Peter Levin
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Peter Levin, Jahrgang 1963, studierte Religionswissenschaft und Soziologie in Freiburg, London und Berlin; er arbeitet als Dozent in der Erwachsenenbildung und in eigener Praxis in HamburgVolksdorf.
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