„Wo immer die Lebensnotwendigkeiten sich in ihrer elementar
zwingenden Gewalt zur Geltung bringen, ist es um die
Freiheit einer von Menschen erstellten Welt geschehen.“
Hannah Arendt
Siebzig Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Bewegung erleben wir in Deutschland wieder eine Massenbewegung, die quer durch alle Schichten das ganze Land erfasst und als Bewegung des Guten spiegelbildlich wie alle Umkehrungen an die Bewegung, gegen die sie sich kehrt, gefesselt bleibt. Vor allem in der Generation, die durch das Anti‘ groß geworden ist, scheint die Illusion weit verbreitet, sich durch eine bloße Umkehrung der geschichtlichen Verantwortung entledigen zu können - ein gefährlicher Irrtum. Die nationalsozialistische Bewegung und die Bewegung des Guten verhalten sich zueinander wie zwei Seiten derselben Medaille. Wie sehr dabei das absolut Gute dem absolut Bösen gleicht, ist von Dichtern und Denkern ausführlich beschrieben worden - es könnte bekannt sein. Als sich die Männer der französischen Revolution der Bekämpfung des Elends verschrieben und das Mitleid zur politischen Tugend par excellence erhoben, gerieten sie unweigerlich auf die schiefe Bahn und endeten im großen Terror - der ursprünglich politische Aufbruch wurde auf lange Sicht verspielt, an den verhängnisvollen Folgen tragen wir bis heute. Auch diese Lektion, zumal sie im alten Europa noch mehrfach wiederholt wurde, könnte bekannt sein. Sieht man sich jedoch in den aktuellen Kommentaren sogenannter Leitmedien‘ um, so fragt man sich heute, wo die einst selbstverständliche historische Bildung von Chefredakteuren geblieben ist.
Mit der Hinwendung zur Not (wer könnte sich jetzt noch von ihr abwenden) als ausschließlicher Grundlage des Handelns entsteht die Dynamik einer Notwendigkeit von Maßnahmen, die aus der Sache heraus zwingend sind und damit jegliche Erörterung möglicher Alternativen schon im Ansatz vernichtet - die absolut vorrangige Behebung der Not ist alternativlos. Der Zwang wird so zum alles beherrschenden Modell des Agierens und vernichtet die Möglichkeiten des Handelns. Menschliches Handeln kann es nur geben, wenn es jederzeit und für jeden die Möglichkeit gibt, etwas Überraschendes, etwas ganz Neues anzufangen. Im Zwang kann es nichts Neues mehr geben alles ist längst schon im Voraus festgelegt. Es gibt nichts mehr zu tun, es gibt nichts mehr zu entscheiden, es geht nur noch darum, die notwendigen Maßnahmen durchzuführen. Wo es nichts mehr zu tun und nichts mehr zu entscheiden gibt, verschwindet jegliche Freiheit, das reine exekutieren wird zur polizeilichen Maßnahme und ist auf Bürger, gar unterschiedliche, nicht mehr angewiesen. Wenn völlig klar ist, was zu tun ist, kann es jeder Beliebige tun, individuelle, persönliche Unterschiede sind dann überflüssig. Das Exekutieren wird zur rein technischen, im Prinzip automatischen Angelegenheit.
Mit der Pflicht entsteht der Zwang, mit dem Zwang die Zucht und mit der Zucht die Züchtung - alle müssen jetzt eines werden - ein Teil der allumfassenden Bewegung des Guten. Der mit dem Hinweis auf die Unteilbarkeit der universellen Menschenrechte begründete Generalangriff auf jegliche Art von räumlicher Ordnung, deren Grenzlinie ein Innen von einem Außen unterscheidet und damit für die Ausbreitung von Bewegungen eine Haltelinie einzieht (unser Haus, unsere Stadt, unser Land etc.) vernichtet vollständig jegliche Möglichkeit des Politischen - an diesem Punkt treffen sich die nationalsozialistische Massenbewegung und die Massenbewegung des Guten - jegliche Art von Grenze muss geschleift werden, wer jetzt noch von Grenze spricht, gilt bereits als Feind der Menschheit und muss radikal bekämpft werden. Kämpfen heißt jetzt nicht länger ein Streit unter solchen, die sich innerhalb einer räumlichen Ordnung als gesetzte Gleiche anerkennen und ihren Streit dadurch einhegen, sondern die Vernichtung des Schädlichen, Schädlingsbekämpfung - eine polizeiliche Maßnahme der Hygiene, so notwendig wie die Behebung der Not, die als Bewegung erst zu Ende sein kann, wenn es nirgendwo mehr eine Not gibt. Die Bewegung des Guten muss zwangsläufig von ihrer antreibenden Quelle her gesehen eine globale Bewegung sein und sich über die gesamte Erde ausbreiten. Wie könnte man noch zwischen der einen Not, die man unbedingt beheben muss und der anderen, die man einfach ignoriert, unterscheiden, wenn schon beim absurden Begriff Flüchtling‘ jegliche Differenzierung als moralisch verwerflich verurteilt wird.
Der von der Massenbewegung des Guten in Geiselhaft genommene Staat zerfällt. Schon werden grundlegende Rechtsinstitutionen der ‚liberalen Demokratie‘ geschleift und erneut erweist sich die ‘liberale Demokratie’ als wehrlos gegenüber der Gewalt, die von derartigen Bewegungen ausgeht. Eine Kommune kündigt langjährigen Mietern von stadteigenen Wohnungen wegen Eigenbedarf. Man brauche die Wohnungen jetzt für Flüchtlinge. Gebäude, noch spricht man nur von leer stehenden, sollen zwangsrequiriert werden, eine Maßnahme, die man sonst nur von Kriegen kennt und die dazu diente, Soldaten unterzubringen. Notwendige Maßnahmen müssen eben mit entsprechendem Zwang durchgesetzt werden, da kann man auf Rechtsverhältnisse keine Rücksicht mehr nehmen, wo gehobelt wird, fallen Späne und wer A sagt muss auch B sagen. Diese Rhetorik ist bekannt, diese Logik ist bekannt und das Ende solcher Bewegungen ist bekannt. Je länger man sie laufen lässt, umso höher wird der Aufwand, um sie wieder zum Halten zu bringen. Schon befinden sich die ersten im Modus des gerechten Krieges. Ist nicht der Kampf gegen das Elend der gerechteste aller Kriege, dem jedes Mittel recht sein muss? Und hat nicht auch schon der Papst zum Kampf gegen das Elend aufgerufen und den Kriegführenden damit den gerechten Lohn versprochen?
Kommunen beginnen jetzt, ihre eigenen Bürger zu bekriegen, wer sich nicht fügt, wird gefügig gemacht, in der Wendung zur Not als Sache, um die es jetzt ausschließlich gehen soll, ist der Unterschied zwischen einem Bürger und einem Fremden überflüssig. Verschwindet dieser Unterschied, wird auch der Bürger als solcher überflüssig. Das in die totale Entortung imaginierte universelle Recht schlägt alle anderen Rechte, die noch irgend etwas mit einer räumlichen Eingrenzung zu tun haben. Der Staatsbürger verschwindet. Sollten wir da nicht anfangen, uns zu fragen: wenn wir als Bürger überflüssig gemacht werden, wozu sollten wir dann noch Abgaben bezahlen? Kann eine Kommune, die weder die Landes-, noch die Stadt-, noch die Grundstücksgrenze respektiert, überhaupt noch einen legitimen Anspruch auf Grundsteuer erheben?
Der Text ist erschienen auf der Seite des Deutschen Arbeitgeberverbandes unter der Rubrik: Texte zur Freiheit. Sie können ihn hier lesen.
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