Seit zwei Weltkriegen mit einer unvorstellbar hohen Zahl von Toten versucht eine republikanisch-atlantische Tradition verzweifelt, den souveränen, nationalstaatlich denkenden Europäern den Montesquieu’schen Sinn von Gesetz als rapport nahe zu bringen, um der europäischen Welt eine dauernde Haltbarkeit zu verleihen. Auch Hannah Arendt bewegt sich auf den Pfaden dieser Tradition. Sollte das alles vergeblich gewesen sein?
Am 5.12. erschien in der ZEIT der Aufruf „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“, der von 60 Prominenten unterzeichnet wurde, darunter so illustre Namen wie Roman Herzog, Gerhard Schröder, Luitpold Prinz von Bayern, Margot Käßmann und viele andere. Die hohe Zahl wohlklingender Namen verdeckt den eklatanten Mangel an politischem Geist. Dass unter den Initiatoren dieser uneinsichtigen Peinlichkeit auch eine Hannah-Arendt Preisträgerin ist, sollte Mahnung an die Jury des Hannah Arendt Vereins sein, fürderhin bei der Auswahl von Preisträgern mehr Sorgfalt walten zu lassen.
Der Aufruf mag von den besten moralischen Friedensabsichten motiviert sein, politisch plädiert er für eine Rückkehr zum Modell des Wiener Kongresses. In diesem Modell entscheidet nicht das Gesetz, wer zum politischen Gespräch zugelassen ist, sondern die Stärke der Gewaltmittel. Wer da nicht mithalten kann, darf hinterher zur Kenntnis nehmen, was über ihn beschlossen wurde. Um solches in Zukunft zu verhindern, bildeten am 50sten Jahrestag des Hitler-Stalin Paktes über eine Million Litauer, Letten und Esten eine Menschenkette von Vilnius über Riga bis nach Tallinn, es wurde die längste bekannte Menschenkette der Geschichte - wir sollten auf sie hören.
Der Osteuropa-Experte Andreas Umland hat unter dem Titel Friedenssicherung statt Expansionsbelohnung einen Gegenaufruf initiert. Er wurde von 100 Osteuropaexperten aus Wissenschaft, Politik und Medien unterzeichnet und auf den Online Seiten der ZEIT und Tagesspiegel Online veröffentlicht.
11. Dezember 2014 um 11:34 Uhr
Vielen Dank für diesen notwendigen Gegenaufruf! Zum besseren Verständnis der „60 Persönlichkeiten“ des Erstaufrufs und ihrer Meinung erscheint mir zusätzlich eine Durchleuchtung der z. T. sehr persönlichen Interessen dieser Persönlichkeiten sehr hilfreich.
9. Januar 2015 um 14:02 Uhr
Wollen Sie wirklich behaupten, „der Westen“, vor allem ausgerechnet die USA , seien ausschließlich von der Sorge um die Durchschlagskraft des -seit seiner Entstehung allenfalls marginal beachteten -Völkerrechts getrieben ? Es geht -wie seit Jahrtausenden um die globale Vergrößerung(Westen ),bzw. dem Erhalt(Rußland)von Einflußbereichen !Die Kontrahenten sind hinsichtlich ihrer Interessenlage und deren „Rechtfertigung“ auf Augenhöhe! Deshalb tragen sie auch beide(!!) die gleiche(!!) Verantwortung für die Beherrschung der damit verbundenen gefahren!! Deshalb verdienen die „Aufrufer) zumindestens eine unpolemische Auseinandersetzung !